Strategieberater: „In Europa fehlen die Stars von morgen“

Martin Unger
Martin Unger(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die EU droht, die Digitalisierung zu verpassen, sagt Strategieberater Unger. Ändert sich nichts, sind zehntausende Jobs in Gefahr.

Die Presse: Erstmals vernichtet der technologische Fortschritt mehr Jobs, als er schafft. Das behaupten zumindest Ökonomen der amerikanischen Eliteuniversität MIT. Haben sie recht?

Martin Unger: In der Tat ist es so, dass die digitale Revolution das Potenzial zur schöpferischen Zerstörung hat. Es werden viele neue Unternehmen entstehen und wachsen. Aber sie bedrohen etablierte Geschäftsmodelle. In einigen Branchen wird die Bilanz negativ sein.

In welchen Branchen?

Im Handel, im Retail-Banking, im Versicherungsbereich. In anderen Sparten können die Effekte durchaus positiv sein. Rund um das Thema „smart products“, also wenn Turnschuhe automatisch Laufdaten übermitteln, werden Arbeitsplätze geschaffen. Aber nur da, wo die Firmen beheimatet sind, die diese Technologien nutzen und voranbringen. Gefährlich wird es dann, wenn diese nicht in Europa sind. Dann gehen Arbeitsplätze verloren.

Genau das passiert doch. In Sachen Digitalisierung wird die Kluft zwischen Europa und den USA größer statt kleiner.

Das ist eine gewaltige Bedrohung. Sowohl die erste als auch die zweite industrielle Revolution hatten ihren Ursprung in Europa. Davon haben wir jahrzehntelang profitiert. Bei der dritten Revolution, die wir erleben, liegt Europa deutlich zurück. Wer akzeptiert, dass diese digitale Revolution ähnlich bedeutend sein wird wie die ersten beiden – und dazu viel schneller kommen wird –, sieht, dass die Effekte gewaltig sein werden. Europa muss sich beeilen.

Wie schnell kann es gehen?

Die digitale Revolution steht erst am Beginn. In vielen Branchen ist das Thema noch gar nicht angekommen. Wenn Europa hier den Anschluss verpasst, sind zehntausende Arbeitsplätze gefährdet. Die meisten erfolgreichen digitalen Unternehmen wie Google oder Amazon sind amerikanisch. Mich beunruhigt, dass auch die Start-up-Unternehmen mehrheitlich von dort kommen. In Europa fehlen die digitalen Stars von heute und von morgen – wenn wir nichts tun.

Was müsste passieren?

Wir müssen erkennen, dass die Entwicklung nicht zu verhindern ist. Also muss ein Umfeld geschaffen werden, in dem junge Firmen sich entwickeln können. Die Zusammenarbeit von etablierten Unternehmen und Start-ups hat Potenzial. Im Moment werden aber zu wenige Start-ups in Österreich geboren und zu großen Firmen herangezogen. Selbst China investiert mehr in Jungfirmen als Europa.

Reicht das aus oder braucht Europa eigene IT-Konzerne, eine Art EU-Microsoft?

Europa hat Entwicklungsbedarf in mehreren Richtungen. Die Etablierung einer starken IT-Szene wäre höchst wichtig. Aber auch die etablierten Branchen dürfen nicht aus dem Blick geraten. Die beiden vorigen Revolutionen haben Europa unseren Wohlstand gebracht. Heute müssen wir uns kümmern, dass sich Industriebetriebe in Europa noch wohlfühlen. Wie es geht, zeigen die USA: wettbewerbsfähige Löhne, günstige Energie, weniger Regularien, starke Kooperationen zwischen Unternehmen und Thinktanks. Europa muss aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren.

Gehen wir zu zögernd auf die digitale Entwicklung zu?

Das Ausmaß der Digitalisierung wird unterschätzt. Viele Unternehmer glauben immer noch, dass sie nicht von der Digitalisierung betroffen sein werden. So wie etwa ein Schraubenerzeuger, der übersieht, dass unter seinen größten Kunden Druckereibetriebe sind und diese von der Veränderung im Medienbereich stark betroffen sind. Wir haben die tausend größten Unternehmen Österreichs über den Stellenwert des Onlinevertriebs befragt. Zwei Drittel waren der Ansicht, dass der Onlinevertrieb für sie nicht wichtig ist.

Hemmt sich Europa mit seiner recht strengen Einstellung zum Thema Datenschutz auch selbst?

Ich verstehe, dass man hier Schranken möchte. Aber man muss aufpassen. Der größte Fehler wäre, sich der Entwicklung zu versperren. Sie ist oft nützlich und nicht aufhaltbar. Die Frage ist nur, wer sie gestaltet. Wenn wir einen positiveren Blick auf dieses Thema gewinnen, müssten wir vielleicht nicht immer dem Trend hinterherlaufen.

ZUR PERSON

Martin Unger ist Geschäftsführer und Partner der Contrast Management-Consulting GmbH. Er ist Know-How Partner des Wiener Strategieforums. Die Tagung für Strategisches Management findet am 19.Mai 2015 auf dem Campus der Wirtschaftsuniversität Wien statt. Näheres unter: www.strategieforum.at

„Die Presse“ ist Medienpartner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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