Warum Politiker Profis für Psychotricks engagieren

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GERMANY POLITICS GOVERNMENR PARLIAMENTAPA/EPA/BERND VON JUTRCZENKA
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Immer mehr Regierungen lassen sich von Psychologen beraten. Sie sollen die Bürger dazu anregen, sich wirtschaftlich vernünftig zu verhalten.

Die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel (CDU), startet ein interessantes Experiment. Sie engagiert Berater, die auf psychologische Tricks spezialisiert sind. In der Stellenausschreibung des deutschen Bundeskanzleramts hieß es, die Bewerber sollten „hervorragende psychologische, soziologische, anthropologische, verhaltensökonomische beziehungsweise verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse“ haben.

Die „Bild“-Zeitung titelte: „Merkel will Psychotrainer anheuern“. Doch das Kanzleramt beruhigte. Man werde keine Psychotherapiecouch aufstellen. Es gehe darum, Erkenntnisse der Verhaltensökonomie für „wirksames Regieren“ zu erproben, sagte ein Sprecher von Merkel. Denn Forscher hätten herausgefunden, „dass viele Menschen so handeln, dass es ihren eigenen Interessen widerspricht“.

Auch in den USA, Großbritannien und Dänemark unterstützen Psychologen und Verhaltensökonomen die Regierungen. Sie helfen mit ihren psychologischen Kenntnissen, die Wirksamkeit von Reformen zu erhöhen. Zudem sollen die Bürger angeregt werden, sich wirtschaftlich vernünftig zu verhalten.

Ein Beispiel ist die Slowakei, wo es bereits eine Registrierkassenpflicht für Unternehmen gibt. Anders als in Österreich wurde der Steuerbetrug zusätzlich mit der Einführung einer sogenannten Quittungslotterie bekämpft. Damit werden die Konsumenten motiviert, bei jedem Einkauf und bei jeder Dienstleistung einen Beleg zu verlangen. Die Quittungen können bei einer Lotteriegesellschaft eingereicht werden. Alle zwei Wochen winkt ein Hauptgewinn von 10.000 Euro, hinzu kommen noch viele andere Preise. Der Andrang bei der Lotterie war enorm. Das Finanzministerium in Bratislava musste die Annahmen für die Steuereinnahmen erhöhen. Für 2014 wurden die Erwartungen um 375 Millionen Euro nach oben revidiert. Die Lotterie selbst kostet nur zwei Millionen Euro. Das Prinzip hier lautet „nudge“ und steht für „anstupsen“. Ein „Stupser“ soll für Aufmerksamkeit sorgen und die Menschen motivieren, ihre Sicht- und Verhaltensweisen zu ändern.

Begonnen hat alles mit einer Fliege auf der Herrentoilette auf dem Amsterdamer Flughafen. Da Männer oft danebenpinkeln, wurde in der Mitte der Pissoirs ein Bild einer Fliege angebracht. Daraufhin landeten 80 Prozent weniger Urin am Boden. Denn viele Männer zielen jetzt auf die Fliege. Der Betreiber des Flughafens erspart sich damit Geld für das Reinigungspersonal. Auch in Australien kamen Verhaltensforscher zum Einsatz. Denn entlang der Autobahnen häufte sich der Abfall, weil Autofahrer einfach Getränkedosen, Kaugummis und leere Jausensackerln aus dem Fenster warfen. Die Forscher ließen dann in regelmäßigen Abständen überdimensionierte Fußballtore aufstellen. Dort durften die Autofahrer ganz offiziell den Müll aus dem Fenster werfen. Hier wurde der menschliche Spieltrieb genutzt: Die Autofahrer hoben leere Getränkedosen bis zum nächsten Fußballtor auf, weil sie Spaß am Zielwerfen hatten. Die Reinigungsfirmen brauchten den Müll nur noch bei den Toren einzusammeln, was weniger Kosten verursacht.

In den USA war Barack Obama lange Zeit ein begeisterter Anhänger vom Nudge-Prinzip. Er verließ sich im Wahlkampf 2008 auf ein Team von Verhaltensökonomen. Diese arbeiteten für ihn ein Konzept aus, wie er die meisten Stimmen gewinnen konnte. Obama machte den Harvard-Professor Cass R. Sunstein vorübergehend zum Chef einer Regulierungsbehörde. Dieser schrieb mit Richard H. Thaler den Bestseller „Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt“. Die Autoren gehen davon aus, dass der „Homo oeconomicus“ – der wirtschaftlich denkende Mensch, der sich primär rational verhält – im Alltag eine Ausnahmeerscheinung ist. Vielfach handeln die Menschen unvernünftig und steuerbar. Nudge liefert einen Anstoß, kluge Entscheidungen zu treffen. Auch die Verhaltensökonomie, die ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft ist, zeigt, dass Emotionen beim menschlichen Handeln eine zentrale Rolle spielen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist das Verhalten in einer Gruppe. Ein Beispiel dafür ist der Herdentrieb an der Börse. Wenn Kollegen und Freunde über Kursgewinne an der Börse jubeln, überlegen auch biedere Sparbuchanleger und Skeptiker, ob sie Aktien kaufen sollen. In der Wirtschaft ist das Nudge-Prinzip allgegenwärtig. In den Supermärkten werden teurere Produkte auf Augenhöhe platziert, günstige Waren befinden sich dagegen unten im Regal– in der Bückzone.

In Großbritannien gründete Premierminister David Cameron 2010 das „Behavioural Insight Team“, auch „Nudge Unit“ genannt. Diese beschäftigte sich mit der Steuermoral der Briten. Säumige Steuerzahler bekamen einen Brief. Darin wurde mitgeteilt, wie viele Prozent der Bürger im Bezirk pünktlich die Steuern bezahlt haben. Besonders effizient war der Satz: „Sie sind einer der wenigen, die noch nicht gezahlt haben.“ Nach drei Monaten hatten viele die Abgaben überwiesen.

Ein weiteres Beispiel: In einigen kalifornischen Regionen brach in der Vergangenheit im Sommer die Stromversorgung oft zusammen. Alle Appelle, mehr Strom zu sparen, nutzen nichts. Daher griffen die Energieversorger zu einem Trick. Sie teilten den besonders verschwenderischen Bürgern mit, wie viel Strom sie im Vergleich zu ihren Nachbarn verbrauchten. Daraufhin setzte in manchen Regionen ein Wettlauf um den niedrigsten Stromverbrauch ein.

Das Nudge-Prinzip ist aber umstritten. Kritiker behaupten, die Menschen werden wie Dummköpfe behandelt und hinterhältig manipuliert. Die Anhänger sprechen vom „libertären Paternalismus“. Denn es gebe keine Ge- und Verbote. Es werde auch niemand gezwungen, dem Anstupser zu folgen.

Fakten

Das Nudge-Prinzip.Entwickelt wurde es von zwei US-Wissenschaftlern, dem Ökonomen Richard Thaler (University of Chicago) und dem Juristen Cass Sunstein (Harvard Law School) Ihr Buch „Nudge. Improving Decisions about Health, Wealth, and Happiness“ (deutscher Titel: „Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt“) gaben sie 2008 heraus.

Die Quittungslotterie.Eine solche gibt es in einigen Ländern. In der Slowakei wurde sie im September 2013 gestartet. Innerhalb der ersten zwölf Stunden wurden laut damaligen Medienberichten mehr als 100.000 Belege eingereicht, den ersten meldete ein Spielteilnehmer bereits zehn Sekunden nach dem Start des Registrierungssystems um Mitternacht an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2015)

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