„Minority Report“ wird Realität: Algorithmus jagt Gauner

(c) REUTERS (EDUARDO MUNOZ)
  • Drucken

Die US-Großbank JP Morgan überwacht ihre Mitarbeiter und will aus gewonnenen Daten mögliche Delikte voraussagen.

Wien/New York. Manipulierte Währungen, krumme Geschäfte mit Hypothekenpapieren und die zwielichtige Rolle als Hausbank des Milliardenbetrügers Bernard Madoff: Die US-Großbank JP Morgan kommt aus den negativen Schlagzeilen nicht heraus. Das ist nicht nur schlecht fürs Image, es geht auch schwer ins Geld: 36 Mrd. Dollar an Prozesskosten musste die nach Umsatz größte Investmentbank Amerikas seit der Finanzkrise zahlen. Das drückt auf die Ergebnisse. Heuer soll die Gewinnmarge von zehn auf 13 Prozent steigen, verspricht Firmenchef Jamie Dimon – vor allem durch weniger Strafen.

Aber wie? Der Gigant von der Wall Street hat 240.000 Mitarbeiter. Es ist statistisch so gut wie sicher, dass sich unter ihnen einige kriminelle Naturen finden, die von den zahlreichen Möglichkeiten des Betrugs in einem großen Geldhaus Gebrauch machen. Irgendwo in den vielen Millionen internen E-Mails, Telefongesprächen und Chats liegen die Beweise dafür verborgen. Doch kein Mensch, ob Vorgesetzter oder Revisor, kann das überwachen. Der Computer freilich kann es. Und er kommt nun zum Einsatz – nicht, um schon begangene Gaunereien aufzudecken, sondern, um sie rechtzeitig zu verhindern.

Wie das geht? Durch einen Algorithmus. Der Rechner sammelt Daten und identifiziert Mitarbeiter, die öfters gegen interne Vorgaben verstoßen: weil sie Compliance-Schulungen schwänzen, Handelsregeln missachten oder Risikolimits überschreiten. Nichts, was an sich schon kriminell wäre. Aber das Fehlverhalten dient als Indiz für einen möglichen Hang zum Kriminellen. So hofft das Management, eingreifen zu können, bevor es zu Delikten kommt.

Wem das bekannt vorkommt: Es ist das Thema von „Minority Report“. In dem Science-Fiction-Film von 2002 sehen Hellseher Morde voraus. Polizisten verhaften vorsorglich die Menschen, die diese Verbrechen angeblich begehen sollen. Was damals viele als absurden Hollywood-Plot belächelten, setzt JP Morgan nun in abgewandelter Form um. Erst in der Handelsabteilung, wo der Test läuft, im nächsten Jahr auch im Investmentbanking und der Vermögensverwaltung. Die Software sollte ursprünglich Terroristen bekämpfen. Parallel dazu baut man eine Abteilung auf, deren Mitarbeiter den gesamten Informationsfluss im Haus überwachen sollen.

Datenschutz ungelöst

Fraglich bleibt, ob solch drastische Maßnahmen JP Morgan nun Jubelmeldungen bescheren. In Europa, wo ungelöste Fragen des Datenschutzes auf ein sensibleres Publikum treffen, wohl kaum. Die Bank sagt nicht, was sie mit dem Gros an unverfänglichen Daten macht. Und was mit Mitarbeitern geschieht, die das Programm als problematisch identifiziert. Bekommen sie einen blauen Brief für etwas, was sie (noch) gar nicht getan haben? Dass eine Sanktionierung von Absichten statt Handlungen juristisch und ethisch höchst fragwürdig ist, war schon das Leitmotiv in den Diskussionen über den Kinohit. Sie erlangen nun, der Wall Street sei Dank, eine ungeahnte Aktualität. (Bloomberg/gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.