Ratingagenturen: Die Allmächtigen

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Seit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers stehen Ratingagenturen im Kreuzfeuer der Kritik. Der Vorwurf: Sie hätten zu spät reagiert und damit die Weltfinanzkrise mitverursacht.

Je tiefer sich die Finanzkrise in die Wirtschaften der Staaten frisst, umso intensiver wird die Suche nach Schuldigen. Eine Institution, die Experten immer wieder gern zur Verantwortung ziehen würden, sind die Ratingagenturen. Sie hätten die Krise verkannt, indem sie gute Bewertungen für Finanzprodukte und Unternehmen abgegeben haben, die in Wirklichkeit schon viel weiter in der Misere gesteckt sind, als es nach außen hin sichtbar war.

Bei der US-Investmentbank Lehman Brothers war das so. Noch am 12. September 2008 konnte sie sich mit A-Ratings schmücken. Drei Tage später war die Bank am Boden – und die Finanzkrise begann auf Europa zuzurollen. Heute befindet sich die Welt in einem der schlimmsten Finanztornados überhaupt, auf dem Ratingmarkt hat sich aber kaum etwas verändert: Immer noch kontrollieren drei große Agenturen einen Markt, zu dem kleine keinen Zugang haben. Moody's, Standard&Poor's und Fitch Ratings heißen sie, die Allmächtigen der Finanzwelt.

„Die USA können ein Land mit ihren Bomben zerstören; Moody's, indem es seine Anleihen herunterstuft“, schrieb der amerikanische Journalist Thomas Friedman schon vor 13 Jahren. „Downgraden“, wie es in der englischen Finanzsprache heißt. Wird ein Staat oder ein Unternehmen heruntergestuft, bedeutet das, dass seine Bonität als schlechter ausgewiesen wird. Für den Staat oder die Firma wird es dann schwieriger und vor allem teurer, sich Geld zu borgen, weil die Zahlungsfähigkeit infrage gestellt wird.

Eine Situation, die Österreich in den ersten Wochen dieses Jahres beinahe erleben musste, als das starke Osteuropa-Engagement der heimischen Banken zum Risiko wurde. 300 Mrd. Euro haben diese in Ungarn, der Ukraine und Co. verliehen. Eine unangenehme Situation für Österreich, die darin gipfelte, dass sich das Land auf diversen Titelseiten internationaler Zeitungen wiederfand – mit Negativschlagzeilen. Der Bund musste in der Folge sogar erstmals erstmals um sein „Triple A“ (AAA)-Rating fürchten. Eine Sorge, die sich letztendlich als unbegründet erwies. Die drei großen Agenturen bestätigten das AAA für Österreich.

Doch kann man sich auf ein Rating überhaupt verlassen? Oder haben die Ratingagenturen nicht ihre Glaubwürdigkeit verspielt, indem sie wie im Fall Lehman Pleitebanken noch kurz vor ihrer Implosion in den Himmel lobten?

DerFall Kaupthing. Die Experten stehen den Agenturen skeptisch gegenüber, und die Daten geben den Kritikern recht. Man werfe einen Blick auf Island, jenen Staat, der wegen seines De-facto-Bankrotts im vergangenen Herbst gern als das erste wirkliche Opfer der Finanzkrise genannt wird. Island musste nämlich Banken retten, deren Kreditausfälle das Bruttoinlandsprodukt des Inselstaates um ein Vielfaches überstiegen. Im Zuge der Krise flüchteten im Oktober binnen weniger Tage gleich drei Banken in die Obhut des Staates – darunter die „Kaupthing Bank“. Sie wurde am 9. Oktober 2008 verstaatlicht. Erst am gleichen Tag stufte Moody's die Unglücksbank von Baa3 auf Caa1 herunter. Was in der Ratingsprache so viel wie „in Zahlungsverzug“ bedeutet. Bis zum 9. Oktober war die Bank in Moody's Augen noch zahlungsfähig. Auch bei Fitch Ratings büßte die Kaupthing erst am 9. Oktober ihr CCC-Rating gegen ein D ein. Warum aber haben die Ratingagenturen so lange gebraucht, um das Institut herabzustufen, wo doch bereits abzusehen war, dass eine Verstaatlichung unausweichlich sein wird?

„Genau in einer solchen Situation reagieren Ratingagenturen manchmal bewusst langsam“, glaubt Hans-Peter Burghof, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Hohenheim in Deutschland. Wenn bereits haufenweise Gerüchte über Banken umgehen, die um ihre Existenz zittern, seien Ratingagenturen besonders vorsichtig, weil sie im Nachhinein nicht als Verursacher einer Krise am Pranger stehen wollten, erklärt Burghof.

Mit diesem Argument lässt sich auch das Verhalten der Ratingagenturen im Fall Lehman Brothers erklären. Ein weiterer Grund für die träge Reaktion von Ratingagenturen in Krisensituationen: Agenturen würden ihre Bewertungen einfach nicht oft genug überprüfen und aktualisieren. „Ratingagenturen erstellen ein Rating und das muss dann einige Zeit halten.“ Letztendlich sei das auch eine Geldfrage, weil Banken und andere Firmen ja für ihre Ratings bezahlen.


Unbestrafte Fehler. Die Fehler, die die Agenturen in den vergangenen Jahren gemacht haben, blieben bisher aber unbestraft. Nach der Krise zogen sie sich mit Aussagen wie „Wir haben uns darauf verlassen, dass die Informationen korrekt waren, die wir von den Banken über die unterschiedlichen Kreditportfolios bekamen“, von Brian Clarkson, dem COO von Moody's aus der Schlinge.

In einem ersten Schritt werden die Ratingagenturen von der EU jetzt jedenfalls an die Kandare genommen. Das Europäische Parlament wird kommende Woche über einen entsprechenden Gesetzesentwurf abstimmen. Fortan müssen sich Agenturen, wollen sie in Europa arbeiten, registrieren lassen. Zudem sollen sie unter Aufsicht gestellt werden. Zuständig dafür wird die CESR, der Ausschuss der europäischen Wertpapieraufseher gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden der Nationalstaaten sein. Künftig sollen beispielsweise finanziell unabhängige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder in einer Agentur dafür sorgen, dass keine Gefälligkeitsbewertungen erstellt werden.

Wie kommen die Ratings von AAA bis DDD überhaupt zustande? „Wie Ratings genau zustande kommen, ist so geheim wie das Rezept von Coca Cola“, erklärt Christina Bannier von der deutschen Frankfurt School of Finance & Management. Und genau hier liegt das Problem. „Die Unternehmen haben eine Art Blackbox, sodass auch die akademische Welt nicht nachvollziehen kann, wie Ratings entstehen“, sagt Josef Zechner vom Institut für Finance & Investments an der Wirtschaftsuniversität Wien. „Die Firmen haben sich über die Jahre Wissen aufgebaut, das sie für ihre Bewertungen nutzen. Dadurch haben sie einen klaren Informationsvorsprung gegenüber dem Mitbewerb erlangt“, sagt Michael Böheim vom Wifo.


Marktbeherrschende Stellung. Aus diesem Wissen resultiert auch die Macht der großen drei, die über eine ähnlich marktbeherrschende Stellung wie Coca Cola und Pepsi verfügen: Die Giganten Moody's und Standard & Poor's teilen rund 80 Prozent des Marktes unter sich auf. Zusammen mit Fitch Ratings, der einzigen europäischen Ratingagentur von Bedeutung, halten sie rund 95 Prozent. „Ein natürliches Oligopol“ nennen das Experten. In einem solchen Umfeld werden neue Konkurrenten entweder von einem der Big Player absorbiert, oder bleiben im Abseits, erreichen also nie eine tragende Rolle auf dem Markt. Eine Tatsache, die den drei Mächtigen immer wieder vorgeworfen wird. Doch wie könnte ein Wettbewerb der Agenturen untereinander aussehen?

Eine europäische Ratingagentur, meinen Experten und Politiker, könnte neuen Schwung in den Markt bringen. Die Idee steht bereits seit Monaten im Raum und hat im Zuge des G20-Gipfels neue Beachtung gefunden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist eine ihrer brennendsten Befürworterinnen. Sie sprach sich bereits im Sommer des Vorjahres für eine solche Institution aus. Die neue Agentur soll laut Merkel den Wettbewerb unter den Agenturen anheizen und der US-Dominanz etwas entgegensetzen. „Eine solche Agentur müsste auf jeden Fall privatwirtschaftlich organisiert sein“, meint dazu Rüdiger Petz aus dem deutschen Bundespresseamt. Bei einer öffentlichen Agentur bestehe die Gefahr, dass Ratings als staatliches Gütesiegel interpretiert werden. Dieser Ansicht ist auch Bernhard Felderer vom Österreichischen Institut für Höhere Studien (IHS): „Das Dilemma entsteht dann, wenn eine Ratingagentur nicht nach den Kriterien des Marktes, sondern von der öffentlichen Hand gelenkt wird.“

Eine Alternative? Doch auch bei den privaten Agenturen gibt es einen Interessenkonflikt. Um von einer Agentur bewertet zu werden, muss man nämlich entsprechende Summen auf den Tisch legen. „Der gleiche Konflikt, mit dem auch Wirtschaftsprüfer zu kämpfen haben“, sagt Zechner.

Auch die Republik Österreich zahlt für ihr Rating. Den Vertragspartnern Standard & Poor's und Moody's werden jährlich bis zu einer halben Million Euro überwiesen. Für ein Rating von Fitch Ratings zahlt Österreich nichts – Agenturen bewerten Staaten manchmal auch ohne entsprechende Bezahlung.

Dass die Ratingagenturen vom Markt verschwinden, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Böheim ist der Ansicht, „dass es keine Alternativen zu den Ratingagenturen gibt.“ Denn im internationalen Kapitalverkehr brauche es jemanden, der die Risken des Marktes und jene der Unternehmen einzuschätzen vermag. Diese Aufgabe könnten nur die Moody's und Co. wahrnehmen.

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Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Agenturen zwar in ihren Grundfesten angekratzt, aber nicht erschüttert wurden. Böheim: „„Es gibt ja ja keine Ausweichmöglichkeiten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2009)

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