Börse: Wer steckt hinter dem Twitter-Crash?

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Die Twitter-Aktien verloren ein Fünftel ihres Wertes, weil schwache Zahlen verfrüht an die Öffentlichkeit kamen. „Schuld“ ist eine Firma, die bisher nur wenige auf der Rechnung hatten.

Wien. Bis Mittwoch war das New Yorker Unternehmen Selerity nur wenigen ein Begriff. Damit ist es nun vorbei. Denn das Unternehmen hat dem börsenotierten Kurznachrichtendienst Twitter die Veröffentlichung der Quartalszahlen gehörig vermasselt. Es hat die enttäuschenden Ergebnisse vorzeitig veröffentlicht – und den Twitter-Aktien so einen Mini-Crash beschert.

Nicht zum ersten Mal. Diese Art der Indiskretion ist für Selerity der Garant für den Erfolg. Das Unternehmen wurde 2001 gegründet und versteht sich als „financial intelligence platform“. Um an verwertbare Informationen zu kommen, grast Selerity das Internet nach Dokumenten über Aktiengesellschaften ab, die zwar online gestellt wurden, aber eigentlich noch nicht veröffentlicht sein sollten.

Twitter kündigte an, die undichte Stelle im Unternehmen ausfindig machen zu wollen. Doch allem Anschein nach benötigte Selerity weder Hacker noch Informanten aus dem Unternehmen, um an die Daten zu kommen. Stattdessen hat der zur Nasdaq gehörende Dienstleister shareholder.com die Daten zu früh auf der Twitter-Homepage platziert.

Insider-Infos frei im Netz

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen heikle Informationen schon vorab online stellen, den Link zur genauen Adresse (URL) aber nicht veröffentlichen. Damit kann die Seite bei Suchmaschinen wie Google üblicherweise nicht gefunden werden. Wer die genaue URL nicht kennt, hat damit eigentlich keine Chance, an die Informationen zu kommen. Selerity allerdings schon.

Das Unternehmen wendet dafür einen simplen Trick an: Es lässt einfach alle sinnvollen Variationen automatisch durchprobieren, bis es zufällig auf die richtige Seite stößt. Im Fall von Twitter war es besonders einfach. Die letzte bekannte Pressemitteilung veröffentlichte Twitter unter der Internetadresse https://investor.twitterinc.com/releasedetail.cfm?ReleaseID=905554. Die „versteckte“ Quartalsmeldung hatte dieselbe Adresse, nur mit der Endung 909177. Eine Stunde vor der geplanten Veröffentlichung hatte Selerity offenbar bis zu dieser Zahl durchgezählt und die da versteckte Meldung via Twitter veröffentlicht.

Verlust stark ausgeweitet

Eine Stunde früher oder später kann doch keinen Unterschied machen, könnte man meinen. In diesem Fall könnte sie jedoch entscheidend sein. Denn börsenotierte Unternehmen machen ihre Zahlen üblicherweise nach Handelsschluss publik, um schwache Zahlen mit Kommentaren abzuschwächen und so überstürzte Reaktionen der Aktionäre zu verhindern. Etwas Abfederung hätten auch Twitters Ergebnisse gebraucht. Der Umsatz im ersten Quartal kletterte zwar um 74Prozent auf 436 Mio. US-Dollar (395 Mio. Euro), der Verlust weitete sich jedoch von 130 auf 162 Mio. Dollar aus. Auch der Ausblick auf das zweite Quartal war schwächer als erwartet. Trotz der wachsenden Relevanz von Twitter als Nachrichtenkanal ist das Unternehmen finanziell also weiterhin ein Desaster. Die Anleger trennten sich in Scharen von den Papieren des Kurznachrichtendienstes. Obwohl der Handel mit Twitter-Aktien zwischenzeitlich gestoppt wurde, verlor das Unternehmen bis Börsenschluss 18Prozent an Wert.

Ist das Geschäftsmodell legal?

Die Panne könnte aber auch für andere beteiligte Unternehmen noch ein Nachspiel haben. So sind etwa auch die Quartalszahlen der US-Großbank JPMorgan Chase – ebenfalls Kunde der Nasdaq-Tochter Shareholder.com – im Herbst vorzeitig bekannt geworden. Auch das Geschäftsmodell von Selerity könnte bald von der US-Börsenaufsicht SEC unter die Lupe genommen werden. Noch ist unklar, ob es legal ist, wenn eine Firma kursrelevante Daten gegen den Willen des betroffenen Unternehmens preisgibt. Ein Selerity-Sprecher kann kein Problem erkennen: „Wir suchen regelmäßig Firmen-Webseiten nach Ergebnissen ab. In diesem Fall hat Twitter die Zahlen offenbar unabsichtlich zu früh veröffentlicht. Aber sie haben sie selbst frei zugänglich gemacht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)

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