Keine Züge bis Sonntag: Die Lokführer starten den bisher längsten Streik bei der Deutschen Bahn. Mit einem neuen Gesetz droht ihrer Gewerkschaft die Entmachtung.
Wien/Berlin. Ein sturer Gewerkschaftsboss, besorgte Politiker, wütende Pendler, Chaos auf Bahnhöfen und Millionenschäden für die Wirtschaft: Die deutschen Lokführer streiken wieder. Wie oft hat man diese Meldung seit dem vorigen Sommer gehört? Das Archiv gibt Auskunft: Achtmal hat die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) mit dem unerbittlichen Claus Weselsky an der Spitze einen zentralen Teil der Infrastruktur lahmgelegt. Aber der aktuelle Ausstand, der für Güter am Montag und im Personenverkehr in der Nacht auf Dienstag begann, bricht alle Rekorde: Wenn er wie angekündigt bis Sonntagmorgen dauert, wird es der bisher längste in der Geschichte der Deutschen Bahn.
Mit der Länge verschärfen sich die Reaktionen. Dass die Bahn selbst den Streik „absolut unangemessen und maßlos“ nennt und sich die CDU über „unerträgliche Machtspiele eines einzelnen Gewerkschafters“ empört, lässt sich noch als konzertierte Erregung deuten. Aufhorchen aber lässt, dass auch für SPD-Chef Sigmar Gabriel der Tarifstreit „kaum noch nachzuvollziehen“ ist.
Eigentlich müsste Gabriel auf der Seite der Gewerkschaft stehen. Aber als Wirtschaftsminister weiß er, dass ein Bahnstreik für den Standort täglich Schäden von 100 Mio. Euro verursacht – diesmal über eine halbe Milliarde. Zulieferteile bleiben auf der Strecke, Lager leeren sich, die Produktion stockt. Zur Distanzierung zwingt Gabriel auch der Zorn der Massen.
Sogar der eigene gewerkschaftliche Dachverband, der Beamtenbund, drängt die GDL händeringend dazu, in dem Streit einen Schlichter zuzulassen. Doch das lehnt Weselsky barsch ab: „Wir lassen nicht über Grundrechte schlichten.“ Tatsächlich geht es gar nicht um Gehalt oder Arbeitszeit. Zwar hat die Bahn in der Vorwoche plus 4,7 Prozent und einmalig 1000 Euro angeboten – ein großzügiges Offert. Aber in den verfahrenen Verhandlungen ging es bisher ausschließlich um die „Struktur“. Und das heißt: um die Macht der GDL im Wettstreit mit der viel größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG.
Klein, stark und aggressiv
Die Lokführer wollen auch für andere Berufsgruppen wie Zugbegleiter verhandeln, für die bisher nur die EVG gesprochen hat. Die Bahn will aber vermeiden, dass sich mehrere Gewerkschaften in ihren Forderungen ständig überbieten, um Mitglieder abzuwerben. Das würde auch dazu führen, dass Mitarbeiter mit gleicher Arbeit je nach Zugehörigkeit verschieden viel verdienen – was für den kollegialen Frieden im Betrieb nicht gerade förderlich ist. Deshalb sagt die Deutsche Bahn jede Änderung nur unter dem Vorbehalt zu, dass sie mit den parallelen Verhandlungen mit der EVG verträglich bleibt – was die Sache naturgemäß in die Länge zieht und für Weselsky eine „Verschleppungstaktik“ ist.
Nun steigen Nervosität und Kampfbereitschaft. Denn im Juli soll das Gesetz zur Tarifeinheit in Kraft treten. Damit will die Große Koalition die Macht kleiner Gewerkschaften einschränken, die exponierte Berufe wie Lokführer oder Piloten vertreten und die Bürger in Geiselhaft nehmen können. Künftig soll nur noch die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb das Verhandlungsmandat haben. Es sei denn, die Parteien haben sich schon vorher auf eine Arbeitsteilung geeinigt. Deshalb kämpft Weselsky mit allen Mitteln darum, schnell noch sein Terrain abzustecken und seinen Einfluss auszuweiten. Bleibt die Bahn aber hart, landen die Lokführer bald auf dem Abstellgleis.
Mit dem neuen Gesetz will die Regierung vermeiden, dass sich neue aggressive Spartengewerkschaften in sensiblen Bereichen bilden: bei Kindergärtnern oder Stromversorgern, aber auch bei Schaltstellen in der Industrie. Dabei geht es auch um den Schutz der Arbeitnehmer. Denn schwer ersetzbare Mitarbeiter, die sich in solchen Gewerkschaften sammeln, haben ohnehin genug Verhandlungsmacht. Wenn sie sich abkoppeln, schwächen sie die Position der leicht ersetzbaren – die dann einem übermächtigen Arbeitgeber viel stärker ausgesetzt sind.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2015)