China überholt USA auch beim Öl

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Es war zu erwarten, und kam doch überraschend: China hat zum ersten Mal die USA als weltweit größter Ölimporteur abgelöst. China packte die Gelegenheit am Schopf.

Wien. Topinsider wie der saudische Ölminister Ali al-Naimi, der kürzlich in China auf Besuch war, werden es möglicherweise geahnt haben. Aber für den Rest der Branche und die interessierte Öffentlichkeit kam die gestrige Nachricht dann doch völlig überraschend: China hat die Vereinigten Staaten als weltweit größten Importeur von Erdöl überholt. Konkret geschah dies im April, als das Reich der Mitte knapp 7,4 Millionen Barrel je Tag kaufte, während die USA 7,2 Millionen Barrel erwarben, wie aus den Daten der Nachrichtenagentur Reuters hervorgeht.

Die Nachricht kam insofern überraschend, als das Wachstum in der hinter den USA weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft zuletzt ins Stottern geraten war. Entsprechend hatten Marktbeobachter mit einer rückläufigen Nachfrage nach Öl gerechnet.

Andere Faktoren jedoch haben trotz dieser Umstände gegenteilig gewirkt: Zum einen eine Reihe von Zinssenkungen, die offenbar doch eine Ankurbelung der Wirtschaft bewirkt haben. Zum anderen der Verfall des Ölpreises seit Juni des Vorjahres. Binnen eines halben Jahres hat die Schwemme auf dem Ölmarkt dazu geführt, dass der Preis um 60 Prozent eingebrochen ist. Die Schwemme ihrerseits ist durch volle US-Lager und durch die Weigerung der von den Saudis geführten Organisation erdölexportierender Länder (Opec), die Förderung zu kürzen, hervorgerufen worden.

China packt Gelegenheit am Schopf

China, das zuletzt auch zum großen Nutznießer der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen geworden ist, indem es sich etwa günstige Lieferverträge mit den angeschlagenen Russen ausverhandelte, hat also auch die Situation des billigen Ölpreises maximal genutzt und die Lager aufgefüllt.

Inzwischen hat der Ölpreis sowohl für die US-Sorte WTI als auch für die europäische Sorte Brent seit Ende Jänner um gut ein Drittel angezogen, bleibt aber trotzdem noch meilenweit von den Hochständen des ersten Halbjahres 2014 entfernt. Demnach werde China auch weiter seine strategischen und kommerziellen Lager auffüllen, meint Seng Yick Tee, Direktor von SIA Energy in Peking.

Der Führungswechsel unter den weltweit größten Importeuren könnte sich in den kommenden Monaten wieder zugunsten der USA ändern. Dennoch gilt als ausgemacht, dass China drauf und dran ist, die USA permanent auf Platz zwei zu verweisen.

Auf dem Ölsektor würde damit nur reproduziert, was auf dem Gebiet anderer Rohstoffe längst der Fall ist. Keine zweite Volkswirtschaft importiert mehr Metalle, Erze oder auch Kohle. Überhaupt gilt China als größter Energieverbraucher des Planeten.

Märkte verlagern sich nach Osten

Auch auf dem Ölsektor vollzieht sich damit die Verlagerung der Märkte von West nach Ost. Das könnte andere Konsequenzen haben: „Der weltgrößte Rohstoffimporteur zu sein, könnte China mehr Einkaufsmacht verleihen“, sagte Philip Andrews-Speed, Chef des Energieinstituts an der Universität von Singapur: Damit dürfte sich auch Chinas Engagement im Nahen Osten ändern, und das Land werde fortan dort nicht mehr die zweite Geige spielen. Nach Ansicht von Andrews-Speed werde nicht nur China für den Nahen Osten wichtiger werden, sondern der Nahe Osten auch für China im Verhältnis zu anderen Ländern, die weniger Öl importieren.

Binnen eines Jahrzehnts haben die Ölproduzenten ihre Handelsrouten deutlich an neue Gegebenheiten anpassen müssen, nachdem die USA wegen steigender eigener Produktion ihre Importe von zuvor zehn Mio. Barrel auf sieben Mio. Barrel zurückgefahren haben. In derselben Zeit hat China seine Importe versiebenfacht. Das verändert auch die von westlichen Firmen dominierte Branche der Öltrader: Chinesische Trader breiten sich auf dem Markt aus. (ag./est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2015)

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