Deutschland: Nur noch beten hilft dem Paternoster

Paternoster
PaternosterAPA/dpa/Wolfram Kastl
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Die öffentliche Nutzung der historischen Aufzüge wird verboten. Der Protest richtet sich gegen Arbeitsministerin Nahles, deren Regulierungswut schon öfter bizarre Blüten trieb.

Wien/Berlin. Wer soll das alles lesen! Hundert Seiten lang ist das deutsche Regelwerk, das auf den sperrigen Namen „Betriebssicherheitsverordnung“ oder das dürre Kürzel BetrSichV hört. Irgendwo ganz hinten, in Anhang Eins Nummer 4.4 des Paragrafen-Konvoluts, hatten die Beamten die emotionale Bombe versteckt: „Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Personenumlaufaufzüge nur von durch ihn eingewiesenen Beschäftigten benutzt werden.“ Sonst droht eine saftige Geldstrafe. Das haben Kabinett und Abgeordnete im Bundesrat überlesen und durchgewunken. Vielleicht, weil sie im „Personenumlaufaufzug“ nicht den viel geliebten Paternoster erkannten.

Jetzt, wo die Sache publik wird, ist es zu spät: Die Verordnung tritt am Montag in Kraft. Vorbei also die Zeit, wo begeisterte Gäste in Hotels, Kunden von Firmen oder Bürger in Rathäusern mit den nostalgischen Relikten aus der Frühzeit der Aufzugtechnik ihre Runden drehen durften. Nur noch 240 Paternoster sind in Deutschland in Betrieb (und zehn in Österreich). Doch das Thema ist emotional aufgeladen.

Dass man künftig eine Art Führerschein für die Nutzung der Retro-Lifte braucht, provoziert Proteste gegen die SPD-Arbeitsministerin. „Die Regulierungswut von Andrea Nahles macht nicht einmal vor historischen Aufzügen hat“, höhnt FDP-Chef Lindner – in einmaliger Eintracht mit „Neues Deutschland“, dem Ex-Zentralorgan der DDR-Kommunisten. Für dessen Chefredakteur ist der Paternoster „der Sozialist unter den Aufzügen“, deshalb wolle ihm die Große Koalition „an den Kragen“. Die Redaktion hält ihr eigenes Exemplar symbolisch besetzt, „bis die Regierung annähernd vernünftig wird, also wahrscheinlich für immer“. Widerstand kündigen auch die Grünen an, jene Partei, der selbst nachgesagt wird, sie wolle alles verbieten, was Spaß macht. Denn ihr Stuttgarter Bürgermeister sitzt in einem Rathaus, dessen Paternoster echte Attraktionen sind.

Reißleine beim Arbeitsschutz

Die Attacke auf den Aufzug dient als Symbol für Paternalismus, die staatliche Gängelung und Bevormundung. Im Februar ging es dabei in einer „Arbeitsstättenverordnung“ um weit mehr. Zum Beispiel: Jeder Mitarbeiter muss eine absperrbare Kleiderablage zur Verfügung haben. Wenn er von zu Hause aus arbeitet, muss die Firma den Home-Office-Platz auf Funktionstüchtigkeit prüfen – etwa, ob dort nicht die Sonne blendet. Der Arbeitgeberpräsident nannte die Novelle „bürokratischen Irrsinn in Absurdistan“. Was sie zu Fall brachte, war aber diese Forderung: Wo sich Mitarbeiter aufhalten, müsse es Fenster nach außen geben. Ausgenommen waren nur Waschräume, Werkhallen, Kaufhäuser und Kundenbereiche unter der Erde. Das hätte für vieles andere das Aus bedeutet: Kaffeeküchen, Empfangszimmer von Hotels oder Arztpraxen und tausende Läden an Bahnhöfen oder Flughäfen. Nach einem entsetzten Aufschrei der Wirtschaft zog Merkel die Reißleine: Das Kanzleramt stoppte die Verordnung in letzter Minute.

Beim Paternoster ist es auch dafür zu spät. Der Ärger über Nahles ist aber nicht ganz gerecht: Der Entwurf stammt von ihrer CDU-Vorgängerin von der Leyen. Und gefordert hatten den Passus die Arbeitsschutzbehörden der Länder –aus Sicherheitsgründen. Denn natürlich ist bei den offenen Holzkabinen das Risiko eines Unfalls aus „menschlichem Versagen“ größer als bei einem heutigen Lift – auch wenn wirklich schwere Fälle schon lange zurückliegen. Angesichts der Proteste spielt Nahles den Ball nun an die regionalen Behörden zurück: Durch eine Novelle der Novelle im Herbst sollen sie Ausnahmen genehmigen dürfen. Ob es dazu kommt? Den Paternoster-Jüngern bleibt vorerst nur: ärgern, bangen – und vielleicht ein Vaterunser in Richtung Himmel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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