In Brasilien brennt der Zuckerhut

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Die siebtgrößte Volkswirtschaft steht vor einer Rezession. Der Rohstoffboom ist vorbei - und wurde nicht genutzt: Sein Ertrag floss in Konsum statt in Bildung und Infrastruktur.

Wien/Brasilia. Es ist noch nicht lange her, da war Eike Batista ein Star. Der brasilianische Erdölmagnat zählte zu den zehn reichsten Menschen der Welt. Eine Karriere wie aus einer Telenovela, aber auch ein Symbol für den Aufstieg Brasiliens zur Wirtschaftsmacht. Bis 2013 der tiefe Fall folgte: Der schrille Krösus verspekulierte sich und verlor alles. Auch sein Abstieg wirkt wie ein mikroökonomisches Menetekel für das große Ganze: Das Wirtschaftswunderland ist nach seinem Höhenflug unsanft gelandet.

Nach einer ganzen Dekade hoher einstelliger Wachstumsraten stagniert die Wirtschaft unter dem Zuckerhut seit 2013. Jetzt steht sie vor einer Rezession: In den ersten drei Monaten schrumpfte das BIP um 0,2 Prozent zum Vorquartal, auf ein Jahr kumuliert um 0,9 Prozent. Das gab das Statistikamt Freitagabend bekannt. Niemand geht davon aus, dass sich die Situation bald bessert, im Gegenteil. Auch die Regierung erwartet für heuer einen Rückgang von 1,2 Prozent.

Wie konnte es dazu kommen? Die Nachrichten aus dem Amazonasstaat bieten nur Puzzlesteine: ein riesiger Korruptionsskandal beim staatlichen Ölkonzern Petrobras, in den viele Politiker verwickelt sind. Nun erwägt die Petrobras offenbar den milliardenschweren Verkauf von Aktivitäten im Golf von Mexiko. Mit dem Schritt wolle sich das staatseigene Unternehmen finanziell sanieren, berichtet die Zeitung "Folha de S.Paulo" am Sonntag. Demonstrationen gegen die Präsidentin Dilma Rousseff, die auch für steigende Preise und klapprige Busse verantwortlich gemacht wird. Eine Fußball-WM, deren Konjunktureffekt offenbar rasch verpuffte. Das ergibt kein rundes Bild. Und tatsächlich liegen die Ursachen der Krise tiefer.

Brasilien leidet unter dem, was Ökonomen die „holländische Krankheit“ nennen: seinem Rohstoffreichtum, der sich als Fluch erweist. Das Land hat große Vorkommen an Eisenerz, Kupfer und Öl. Über die Hälfte der Ausfuhren sind Rohstoffe. Solange deren Preise in die Höhe schossen, boomte der Amazonasstaat. Die Löhne stiegen stark, der Konsum wurde zur Hauptstütze der Konjunktur.

Dilmas Dilemma

Die Politik versäumte es, den Erfolg abzusichern – durch den Aufbau neuer Standbeine mit mehr eigener Wertschöpfung. Dazu hätte sie die Ernte der fetten Jahre in Bildung und Infrastruktur investieren müssen. Der Industrie fehlen gut ausgebaute Autobahnen und Zugstrecken ebenso wie gut ausgebildete Mitarbeiter, vor allem Techniker. Das treibt die Kosten, macht unproduktiv und wenig wettbewerbsfähig. Dafür gönnte sich Brasilien eines der großzügigsten Pensionssysteme der Welt – mit einem faktischen Antrittsalter von 55 Jahren. Als die Rohstoff-Hausse abflachte, traten die Schwächen offen zu Tage. Eine Zeitlang stützte noch der Konsum die Konjunktur, wofür sich die privaten Haushalte stark verschuldeten. Rousseff übte sich in interventionistischer Politik.

Ausländische Direktinvestoren zeigten sich irritiert und hielten sich zurück. Als sich in den USA ein Ende der ultralockeren Geldpolitik abzeichnete, floss auch Finanzkapital aus den Schwellenländern ab. Der Real brach ein. Probleme machen auch die Nachbarn: Argentinien und vor allem Venezuela geht es noch schlechter. Damit fällt die atlantische „Mercosur“-Allianz immer stärker hinter die prosperierenden Pazifikstaaten Chile, Kolumbien und Peru zurück.

Rousseff, eigentlich aus dem linken Lager, hat die Problemlage nun erkannt – und unterzieht Brasilien einer liberalen Rosskur. Die erste Priorität: Das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen. Dazu werden einige Steuern erhöht und viele Ausgaben gekürzt, auch die Stützungen der Strom- und Benzinpreise. Die Zentralbank hebt den Leitzins an (aktuell auf 13,25 Prozent), um die grassierende Inflation (im April über acht Prozent) einzudämmen. So verteuern sich die Kredite. Die Folge: Die Unternehmen halten sich mit Investitionen, die verschuldeten Bürger beim Konsum zurück.

Das verschärft im ersten Schritt die Misere, soll aber Schlimmeres verhindern – dass nämlich Brasilien sein Top-Rating verliert. Zugleich gelobt die Regierung per Gesetz, in den kommenden zehn Jahren die Investitionen in Schulen und Verkehrsnetze massiv zu erhöhen. Ob sie dafür genug Geld haben wird? Es ist eine Wette auf die Zukunft – wie auch die Pläne von Eike Battista, der nun wie sein Land neu durchstarten will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2015)

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