Stefan Kooths: „Am Ende steht ökonomisches Chaos“

Verwaltungsgebaeude  der europaeischen Zentralbank in Frankfurt/Main (EZB)
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Der deutsche Ökonom Stefan Kooths sieht durch die expansive Geldpolitik ein „Konservieren von Zombie-Strukturen“. Die Chancen auf eine sanfte Landung seien sehr gering.

Die Presse: Die Zeichen stehen auf Aufschwung, aber im ersten Quartal schwächelte ausgerechnet die Konjunkturlokomotive Deutschland. Macht Ihnen das Sorgen?

Stefan Kooths: Die deutsche Konjunktur wird vor allem durch das extrem expansive monetäre Umfeld unter Dampf gesetzt. Und dabei sehe ich weniger die Gefahr, dass es zu einem Stottern kommt, als jene, dass man nichts gegen die Überhitzung unternimmt.

Die USA sind deutlich schwächer als die Erwartungen. Wie passt das ins Bild?

Auch hier haben manche erwartet, dass es einen konjunkturellen Durchmarsch geben wird. Dass der nicht gekommen ist, führt nun aber auch hier eher zu den Befürchtungen, dass der expansive Kurs in der Geldpolitik – der unserer Meinung nach ohnehin schon viel zu lange anhält – nun weitergeht und sich die verschiedenen Länder oder Währungsräume sogar gegenseitig hochschaukeln.

Passiert das nicht schon längst?

Es stimmt, in Japan hat man das sogar als konkretes Ziel erklärt. In Europa wurde es zwar nicht explizit erklärtes Ziel, aber wohl Teil der Strategie. Und in den USA wird viel davon abhängen, wie die Reaktion auf die zuletzt schwächeren Daten sein wird. Ein gegenseitiger Abwertungswettlauf ist jedoch das Schlimmste, was es für die Weltwirtschaft geben kann. Dass also in Japan, Europa und den USA die Notenpressen glühen. Denn das Ende davon ist klar: globales ökonomisches Chaos.

Das heißt, es ist keine Frage mehr des „ob“, sondern nur mehr des „wann“?

Je länger wir damit warten, die Geldpolitik auf ein normales Maß zurückzunehmen und diese seit fünf Jahren andauernde Phase mit Ultra-Niedrigzinsen weiter fortführen, desto schlimmer werden die Probleme am Ende sein. Die Geldpolitik soll derzeit Probleme lösen, die gar nicht monetärer Natur sind. Etwa die hohe Überschuldung bei Staaten, aber auch Unternehmen, sowie fehlende Strukturreformen – beispielsweise im Pensions- oder Gesundheitssystem. Dadurch werden neue Probleme geschaffen, etwa indem sich Produktionsstrukturen auf das viel zu niedrige Zinsniveau einstellen. Jede Anhebung wird dann die strukturellen Probleme zu Tage fördern, die man jetzt meint, auf die lange Bank schieben zu können. Wir konservieren also Zombie-Strukturen.


Gibt es noch die Chance auf eine „sanfte Landung“?

Sie ist nur mehr gering.

Wir tanzen also auf dem Vulkan und wissen, dass wir hineinfallen, sobald wir damit aufhören?

So kann man es ausdrücken. Natürlich hilft ein schwacher Euro dem einen oder anderen Exportsektor zwischenzeitlich auf die Beine. Das sind aber alles nur Dopingspritzen, die das Grundproblem nicht lösen. Und viele machen die Augen davor zu – auch Zentralbanken. In diesem Zusammenhang ist ja auch die Diskussion über die Abschaffung des Bargeldes zu sehen. Das klingt sehr akademisch, sollte aber überall zum Schrillen der Alarmglocken führen. Denn damit wird den Menschen die Möglichkeit genommen, sich zumindest durch Bargeldhortung von künstlich geschaffenen Negativzinsen zu schützen.

Die lockere Geldpolitik kann ja auch an den Finanzmärkten zu Blasen führen. In dieser Woche gab es bei deutschen Staatsanleihen schon das zweite Mal in kurzer Folge eine deutliche Korrektur. Ist das bereits eine erste kleine Blase, die platzt?

Solche erratische Zinsänderungen – es war ja ein halbes Prozent an nur einem Tag – zeigen vor allem, wie stark die Verwerfungen an den Märkten bereits fortgeschritten sind. Durch die Aufkaufprogramme der EZB sind manche Märkte richtig illiquide geworden. Es gibt dort also auch keine sogenannten Market-Maker mehr, die durch kontinuierlichen Handel für eine Glättung der Kurse sorgen. Es mag paradox klingen: Aber die EZB kauft wie ein riesiger Staubsauger alles auf und sorgt durch diese Liquiditätsflut dazu, dass gewisse Anleihenmärkte illiquid werden.

Kann so etwas der Schneeball sein, der dann zur Lawine wird?

Das glaube ich nicht. Es gibt unter den Anlegern halt eine verzweifelte Suche nach Renditen. Aber ich sehe nicht, dass daraus über Nacht ein wirkliches Problem für die globalen Finanzmärkte werden könnte.

Wenn es kaum mehr Chancen auf eine „sanfte Landung“ gibt: Wann wird es zur „harten Landung“ kommen?

Das kann keiner sagen. Am wahrscheinlichsten ist für mich, dass die Zentralbanken mit der Normalisierung der Geldpolitik länger warten, als es ihrem Mandat eigentlich entspricht. Und das wird sich mittelfristig in deutlich höherer Inflation auswirken. Das passiert ja jetzt bereits auf den Vermögensmärkten – also bei Aktien oder Immobilien. Und über kurz oder lang wird das auch auf die normalen Märkte überschwappen.

Die Erwartung einer hohen Inflation gab es ja auch schon vor rund zwei Jahren. Gekommen ist jedoch nichts. Bei den Zentralbanken sagt man daher gerne: Es gibt keine Probleme.

Es ist mordsgefährlich, so zu argumentieren. Denn wir wissen, dass die Verzögerung zwischen geldpolitischen Manövern und den Preisreaktionen durchaus einige Jahre dauern kann. Vor allem in einer Situation wie jetzt, wo es in vielen Ländern hohe Verschuldung – auch der Privaten und Unternehmen – gibt und die Kreditvergabe daher nicht in Gang kommt. Sobald sie das aber tut, wird es gefährlich. Anfällig sind dafür vor allem Länder wie Deutschland und Österreich, wo es noch solvente potenzielle Kreditnehmer gibt, denen die billigen Kredite schmackhaft gemacht werden. So werden dann die gesunden Teile des Euroraums mit der Krankheit angesteckt.

ZUR PERSON

Stefan Kooths leitet

das Prognosezentrum am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, einem der führenden deutschen Forschungsinstitute. Der Ökonom hat eine Professur und berät das Finanz- und das Wirtschaftsministerium in Berlin. [ Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2015)

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