Das letzte Kapitel der griechischen Tragödie hat begonnen. Wenn es beim Sondergipfel am Montag zu keiner Einigung kommt, könnten die griechischen Banken kollabieren - und mit ihnen der ganze Staat.
Athen/Wien. Es ist inzwischen mehr als fünf Jahre her, dass Athen formal um ein Rettungspaket bitten musste, weil der Staat sich auf den Märkten nicht mehr finanzieren konnte. Aber auch nach unzähligen Krisengipfeln, hunderten Milliarden Euro an Hilfskrediten, mehreren drakonischen Sparbudgets und vier griechischen Premierministern hat sich an diesem Grundproblem nichts geändert: Griechenland ist pleite. Und wenn sich die linkspopulistische Regierung von Premier Alexis Tsipras am Montag beim neuesten Sondergipfel in Brüssel nicht bewegt, dann droht tatsächlich der endgültige Kollaps.
Konkret muss das Land noch im Juni 1,7 Mrd. Dollar an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen. Geld, das Athen nicht hat. Aber die Geldgeber verlangen Zugeständnisse und weitere harte Reformen von Tsipras, bevor sie die noch ausstehenden 7,2 Mrd. Euro aus dem aktuellen Rettungspaket freigeben. Der Sondergipfel startet zweieinhalb Stunden früher als geplant und soll laut Euro-Gruppen-Chef, Jeroen Dijsselbloem, schon um 12.30 Uhr beginnen. Sollte es zu keiner Einigung kommen, kann nichts mehr ausgeschlossen werden. Vom Staatsbankrott bis zum Euroausstieg liegen inzwischen alle Optionen auf dem Tisch.
Vorschläge für eine „endgültige Lösung“
Premier Tsipras stand am Wochenende mit EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten, François Hollande, telefonisch in Kontakt. Berichten zufolge präsentierte Tsipras den EU-Partnern Vorschläge für eine „endgültige Lösung“ der Krise.
Wie die griechische Regierung ausstreut, besteht diese Lösung aus einem Gegenvorschlag Griechenlands zum Vorschlag der Gläubigerinstitutionen. Forderung der Griechen ist ein deutlicher Bezug auf eine Umstrukturierung der Staatsschulden, ein Wachstumspaket und gemäßigte Budgetvorgaben. Beim letzten Punkt ist von einem Primärüberschuss, also einem Budgetplus vor Zinszahlungen, von einem Prozent zu hören.
Beim Thema Steuern und Einsparungen im Sozialsystem wurde Folgendes bekannt: Gastronomie, Hotels und Strom, ein Streitthema der vergangenen Woche, sollen in die Mehrwertsteuerstufe von 13 Prozent fallen; beim Pensionssystem will man von Kürzungen der Mindestpensionen nichts hören, schlägt jedoch die Streichung von Übergangsfristen betreffend Frühpensionen ab 2016 vor.
Alekos Flambouraris, Regierungskoordinator beim Ministerpräsidenten und einer der ideologischen Ziehväter von Tsipras, sandte jedoch schon im Vorfeld der entscheidenden Verhandlungen eine eindeutige Botschaft nach Brüssel: Sollte Tispras vor das Dilemma Zustimmung oder Bankrott gestellt werden, müsste er abreisen und eine Volksabstimmung über den Forderungskatalog der Gläubiger abhalten.
Fast Game over für die Banken
Es ist allerdings fraglich, ob dafür überhaupt Zeit bliebe. Die Griechen stürmen schon die Banken und räumen ihre Konten leer. Am Freitag weitete die EZB ihre Nothilfen für die Banken akut aus, damit diese ihre Kunden überhaupt noch auszahlen können. Diese Emergency Liquidity Assistance steht nun bei insgesamt 86 Mrd. Euro.
Von der heutigen Entscheidung hängt auch ab, ob die EZB das griechische Bankensystem weiter künstlich am Leben halten wird. Der Bargeldumlauf in Griechenland ist seit Jahresbeginn um 44 Prozent gestiegen, weil die Griechen ihren Banken nicht mehr trauen und das Geld abheben. Die Bankeinlagen haben sich seit 2009 halbiert: von 240 Mrd. Euro auf rund 120 Mrd.
Laut JP Morgan haben die griechischen Banken seit mittlerweile zwei Wochen keine Sicherheiten mehr zur Verfügung, die sie der EZB im Gegenzug für Kredite geben können. Es ist, wie man auf Neudeutsch sagt, fast Game over für das Bankensystem – und damit für den Staat.
AUF EINEN BLICK
In Brüssel kommt es heute zu einem neuen Griechenland-Gipfel. Wenn es keine Einigung zwischen den Geldgebern und Athen gibt, droht der Kollaps des Bankensystems. Dieses wird nur noch durch Notfallkredite der EZB am Leben gehalten. Die Griechen stürmen derweil die Banken und heben ihr Geld ab.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)