Ex-EZB-Chef Trichet: „Wir werden neue Schocks erleben“

(c) EPA (ENNIO LEANZA)
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Die Europäische Zentralbank ist in der Krise zur Feuerwehr mutiert. Eine Rolle, die ihr eigentlich nicht zukommen sollte.

Wien/Frankfurt. SMP, OMT, LTRO, QE, ELA: Man kann der Europäischen Zentralbank EZB vieles vorwerfen – nicht aber, dass sie mit exotisch klingenden Abkürzungen geizen würde. Abkürzungen, hinter denen immer das eine Produkt steht, das die EZB zu bieten hat: Geld. Geld für die Banken, Geld für die Staaten und vor allem: Geld für Griechenland (und seine Banken). Die EZB meistert seit 2010 eine historisch einzigartige Gratwanderung zwischen ihrem Mandat (Preisstabilität für die Eurozone) und ihrer neuen Rolle als Krisenfeuerwehr.

Einer Rolle, die so nicht vorgesehen war.
SMP steht für den Aufkauf griechischer Staatsanleihen am ersten Höhepunkt der Hellas-Krise. OMT ist das von EZB-Chef Mario Draghi entworfene – aber nie eingesetzte – Programm zum unlimitierten Aufkauf verschiedener europäischer Staatsanleihen, dessen Ankündigung 2012 allein die sogenannte Eurokrise beendete. LTRO steht für superbillige Langzeitkredite an Banken. QE (Quantitative Easing) ist das aktuell laufende, aber bis 2016 begrenzte Programm zum Aufkauf von Euro-Staatsanleihen, mit dem die EZB mehr als eine Billion in den Markt pumpen will. Und ELA? Das ist die aktuell laufende Notversorgung der griechischen Banken mit Euro – damit diese dem laufenden Bank Run ihrer Kunden Herr werden können.

Die EZB erhielt für ihre Entschlossenheit in der Krise viel Lob – muss sich aber auch viel Kritik gefallen lassen. Tatsächlich bewegt sie sich hart an der Grenze des Erlaubten – denn die Staatsfinanzierung durch die Notenpresse, die in den USA oder Japan ohne Hemmungen betrieben wird, ist ihr eigentlich verboten. Das ist auch nicht irgendeine beliebige Regel, sondern ein Grundpfeiler der Eurozone – von dem Deutschland und die anderen traditionellen Hartwährungsländer nicht abrücken. Diese Gratwanderung muss also legitimiert werden.

Und tatsächlich kann man mit gutem Grund behaupten, dass niemand auf der Welt die Krise so effizient „genutzt“ hat wie die Eurozone. Das ist zumindest die Position von Jean-Claude Trichet, der auf Einladung der Gesellschaft für Europapolitik am Montag in Wien eine Rede hielt. Trichet stand an der Spitze der EZB, als die Krise zuschlug.

„Wir sind in einem anderen Universum“

„Schon vor der Krise wurde der Stabilitätspakt von einigen Ländern nicht beachtet“, so Trichet. „Außerdem gab es kein brauchbares Monitoring der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer. Als die Krise dann kam, hatten wir zuerst keine Werkzeuge, um zu antworten – wie etwa den ESM. Auch gab es keine Bankenunion. Sogar der einheitliche Markt war keineswegs vollständig.“

Auf all diesen Gebieten sei seit 2010 aber großer Fortschritt erzielt worden, so Trichet. Jetzt gelte es, diese angegangenen Reformen auch vollständig umzusetzen. In der Krise stand das westliche Finanzsystem knapp vor dem totalen Kollaps, so Trichet. Und: „Wir werden neue Schocks erleben.“ Aber auf die nächste Finanzkrise werde Europa besser vorbereitet sein. „Wir haben viel erreicht.“

Wohin die Reise geht? „Es gibt große Fortschritte in Richtung von etwas, was wie eine Föderation aussieht. Aber ich glaube, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass wir die Vereinigten Staaten nachahmen werden. Das ist eine sehr naive Vorstellung. Österreich ist nicht Florida. Wir sind in einem anderen Universum.“
An einen Euroausstieg Griechenlands will Trichet nicht glauben. „Wenn Griechenland den Euro verlässt, wäre das ein Drama für die Menschen in Griechenland – aber auch für Europa.“ Man müsse auch die andere Seite der Geschichte sehen.

„Niemand hat vor dem Start des Euro geglaubt, dass die Gemeinschaftswährung durch die schlimmste Krise seit 1929 gehen könne, ohne zu zerbrechen. Aber der Euro hat enorme Belastbarkeit bewiesen. 2010 waren 15 Länder in der Eurozone. Jetzt, nach fünf Jahren Griechenland-Krise, sind es schon 19“, so Trichet im Gespräch mit der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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