Griechenland: Schulden-Odyssee ohne Ende

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BELGIUM EU SUMMIT(c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET (OLIVIER HOSLET)
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Mit aller Kraft stemmt sich Premier Alexis Tsipras gegen die Versuche der EU, ihn zu einer Modernisierung seines Landes zu verpflichten. Die Euro-Finanzminister finden keine Lösung.

Brüssel. „Damit schicke ich Sie jetzt in die Nacht“ – als Angela Merkel am Montag kurz vor Mitternacht ihre Pressekonferenz in Brüssel mit diesen Worten beendete, war die Hoffnung noch groß, dass Griechenland und seine Gläubiger schlussendlich handelseins werden und das Ausscheiden des überschuldeten Landes aus der Währungsunion verhindern würden – schließlich lag seit wenigen Stunden ein neues griechisches Angebot auf dem Verhandlungstisch.

Doch mit jeder schlaflosen Stunde, die Experten der mit der Rettung Griechenlands betrauten Institutionen und Finanzbeamte der Euromitglieder seither über den griechischen Sparvorschlägen verbracht hatten, erschienen die Aussichten auf Erfolg geringer – die Links-rechts-Koalition von Premier Alexis Tsipras, die Ende Jänner in Athen ans Ruder kam, hat in den vergangenen Monaten nicht nur die Geldreserven, sondern auch alle Vorräte des guten Willens aufgebraucht.
Mit jeder ergebnislosen Verhandlungsrunde – ein außerplanmäßiger Eurogipfel und vier Finanzministertreffen waren es im Lauf der vergangenen sieben Tage – verfestigt sich der Eindruck, Athen sei nicht an einem Kompromiss interessiert, sondern rede um des Redens willen. Und zwar so lang, bis der Rest der EU w. o. gibt und Tsipras aus der lästigen Verpflichtung entlässt, sein Land zu modernisieren.

Das Sondertreffen der Eurozone am Montag ist auf Tsipras' Wunsch zustande gekommen – der griechische Premier beharrt auf einer „politischen Lösung“ der Griechenland-Krise – ein Euphemismus für Finanzhilfen und Schuldenerlass. Doch seine Kollegen machten ihm klar, dass nicht sie, sondern die mit Griechenland betrauten Fachgremien grünes Licht für die Auszahlung der verbleibenden 7,2 Mrd. Euro aus dem am 30. Juni zu Ende gehenden Hilfsprogramm geben müssen. Das Prozedere ähnelt einer Castingshow: Zunächst einmal gilt es, eine Einigung zwischen Griechenland und dem Trio der Geldgeber (EU-Kommission, IWF und EZB) zu erzielen – das sogenannte „Staff level agreement“. Dieses muss in einem zweiten Schritt von den Finanzministern bestätigt werden, bevor die Staats- und Regierungschefs den Deal politisch absegnen können.

Seit Montag gibt es immerhin ein konkretes Angebot, das 2015 und 2016 acht Mrd. Euro in die Staatskassen spülen soll. Das Problem ist nur, dass dieses Angebot am Donnerstag nicht einmal die erste Phase des Castingverfahrens passiert hat. Das Brüsseler Trio vermisst nämlich ein Ende der ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf griechischen Inseln sowie höhere Einsparungen im Pensionssystem. Zudem bemängelt der IWF, dass Athen auf Steuererhöhungen statt Strukturreformen setze. Prompt schob Tsipras nach Ende des Treffens dem IWF auch die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zu. Dieser, so der griechische Premier, vertrete extreme Positionen.

Am Samstag geht es weiter

Die nach Brüssel beorderten Finanzminister bissen sich sowohl am Mittwoch als auch am Donnerstag an Tsipras' Finanzminister Yanis Varoufakis die Zähne aus. Nach dreistündigen Verhandlungen war klar: Die Schulden-Odyssee geht weiter, und zwar beim nächsten Sondertreffen der Euro-Gruppe, das am morgigen Samstag stattfinden wird. Bis zuletzt bemühte sich die Troika, die Griechen zu Zugeständnissen zu bewegen – ohne Erfolg, denn beim gestrigen Finanzministertreffen lagen zwei Dokumente auf dem Verhandlungstisch: der neunseitige Lagebericht der drei Institutionen mit den obigen Beanstandungen sowie ein nicht näher bekannter griechischer Gegenvorschlag, der dem Vernehmen nach an das Angebot vom Montag angelehnt ist.

Während der österreichische Finanzminister, Hans Jörg Schelling, den Tagungsort der Euro-Gruppe wortlos verließ, begann im benachbarten Ratsgebäude der planmäßige EU-Gipfel. Die Hinhaltetaktik von Varoufakis deutet darauf hin, was Tsipras erreichen will: die griechische Schuldenfrage zur Chefsache machen. Ob seine Kollegen das griechische Spiel mitspielen wollen, bleibt abzuwarten. Merkel zeigte sich vor dem Beginn des Treffens standhaft: „Der Gipfel wird sich nicht in die Verhandlungen einmischen.“ Dem Vernehmen nach soll Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem die Gipfelteilnehmer über den Stand der Dinge unterrichten – was Alexis Tsipras eine Gelegenheit geben könnte, die Abnützungsschlacht fortzusetzen. Ratspräsident Donald Tusk will das – wie Merkel – verhindern. Noch am Abend schloss er aus, dass sich die Staats- und Regierungschefs mit der Materie befassen würden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2015)

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