Grexit: Plan B wird zu Plan A

Griechenland und EU Fahne auf maroder Steinmauer mit Schriftzug Grexit
Griechenland und EU Fahne auf maroder Steinmauer mit Schriftzug Grexitimago/Christian Ohde
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Letzte Staffel im Schuldendrama der Griechen: Alexis Tsipras will ein Referendum und mehr Zeit – wieder einmal. Die EU-Verhandler geben sie ihm nicht. Die Verhandlungen sind gescheitert.

So beginnt er also, der Grexit: Eine denkbar kurze Pressekonferenz von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Gestern, um 17.30 Uhr, tritt er in Brüssel vor die wartenden Journalisten. Er wirkt irgendwie ratlos. Die EU werde das Hilfsprogramm für Griechenland, das am 30. Juni ausläuft, nicht verlängern, sagt er. Die Glaubwürdigkeit Athens sei nicht gegeben, sagt er. Die griechische Regierung habe sich „unfair“ verhalten, sagt er.

Aus und vorbei. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat zu dem Zeitpunkt bereits die Heimreise angetreten. Zuvor hat er natürlich noch ein paar Wortspenden abgegeben. Zum Beispiel: Die Entscheidung „wird sicher die Glaubwürdigkeit der Eurogruppe schädigen“. Doch über solche Äußerungen ärgert sich in Brüssel niemand mehr. Die Verhandlungen gehen weiter – ohne Varoufakis. Jetzt geht es darum, weiteres Unheil abzuwenden. es geht um den Schutz der Währungsunion. Da müssen noch viele Fragen geklärt werden.

Klar ist an diesem historischen Abend des 27. Juni 2015 nur eines: Griechenland hat im Endspurt der Verhandlungen über ein Spar- und Reformpaket selbst den Stecker gezogen. Begonnen wurde damit am Freitag, kurz vor Mitternacht. Da berichtete der griechische Fernsehsender Skai TV über Neuigkeiten von den schier endlosen, nervenaufreibenden Verhandlungen mit der EU. Und neu war die Nachricht allemal: Alexis Tsipras plane, so wurde verkündet, ein Referendum. Das griechische Volk solle über die geplanten Reformen abstimmen. Reformen, die unter dem Druck der Gläubiger vorgesehen seien.

Eine halbe Stunde später war es offiziell: Regierungschef Tsipras himself äußerte sich in einer Fernsehansprache, die auf allen Kanälen übertragen wurde: Das Referendum werde am 5. Juli stattfinden.

Dramatik ist kein Wort dafür, was sich in den Stunden danach – den gesamten Samstag über – abspielte. Denn die Sache mit dem Referendum hatte natürlich einen entscheidenden Haken: Am 30. Juni läuft das griechische Hilfsprogramm aus. Und mit der Volksbefragung wollte die griechische Regierung vor allem eines: Zeit gewinnen. Das Hilfsprogramm sollte also um einige Wochen verlängert werden – auch, um das Ergebnis des Referendums abzuwarten. Griechenland erwarte sich Flexibilität der Geldgeber, sagte Finanzminister Yanis Varoufakis gestern nachmittag. Öl ins Feuer. Damit hatten die Griechen das getan, was sie in den vergangenen Monaten perfektioniert hatten: Sie haben jede Menge Öl ins ohnehin lodernde Feuer gegossen. Wohlgemerkt: Die neuerliche Kehrtwendung im griechischen Drama erfolgte nur einen halben Tag vor der alles entscheidenden Sitzung. Um 14 Uhr trafen die Euro-Finanzminister zum angeblich letzten Mal in Brüssel zusammen, um die Rettung Griechenlands vor der Staatspleite in letzter Minute zu ermöglichen.

Bei diesem entscheidenden Treffen wollten sich die Minister mit der griechischen Regierung auf ein Reform- und Sparpaket einigen. Endlich. Als Voraussetzung dafür, dass Griechenland die bisher blockierten milliardenschweren Hilfsgelder bekommt.

Und dann das. Ein Referendum? In einer Woche? Jetzt auf einmal?

Die Euro-Finanzminister waren gestern außer sich. Man kann es ihnen nicht verdenken: Die vergangenen Wochen waren eine einzige Nervenprobe. Wöchentlich mehrmalige Flüge nach Brüssel haben viele physisch an ihre Grenzen gebracht. Das permanente Hin und Her der Griechen tat ein Übriges. Und all dies unter dem Damoklesschwert 30. Juni. Bis zu diesem Tag muss eine Einigung unter Dach und Fach sein – sonst droht Griechenland die Pleite.

Vor der gestrigen Sitzung gingen also die Wogen hoch. In Minutenabständen kamen Schlagzeilen der Nachrichtenagenturen auf die Ticker in den Redaktionen. Meldungen mit den neuesten Äußerungen der europäischen Finanzminister. Kleine Kostprobe: Der belgische Finanzminister, Johan Van Overtveldt, bezeichnete den neuen griechischen Vorschlag als „bizarr“. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem zeigte sich „enttäuscht“. „Verhandlungstisch verlassen“. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble fand wie gewohnt sehr klare Worte: „Der Verhandlungstisch ist von Griechenland verlassen worden“, tönte er. Damit ende das griechische Hilfsprogramm am Dienstag. Und Österreichs Finanzminister, Hans Jörg Schelling,betonte, er sehe keine Möglichkeit für eine Verlängerung des Hilfspakets. Das Referendum sei viel zu spät angesetzt worden (siehe auch Interview auf Seite 5). Und der slowakische Finanzminister Peter Kazimir forderte von der Euro-Gruppe, noch am Samstag über Griechenland zu entscheiden. Es sei immerhin nicht das erste Mal, dass Athen für Drama sorge. Kazimir: „Wenn die griechische Regierung das Paket auf dem Tisch ablehnt, ist das Programm vorbei.“

Der finnische Finanzminister Alexander Stubb schließlich machte klar, was Sache ist: Das angekündigte Referendum sei eine „unangenehme Überraschung“. Es gebe im Grunde Konsens in der Euro-Gruppe, dass das laufende Hilfsprogramm nicht verlängert werden kann. Stubb: „Also denke ich, dass Plan B zu Plan A wird.“

Zum besseren Verständnis: Plan A ist die Einigung auf ein griechisches Reform- und Sparpaket. Plan B ist der Grexit. Also der Abschied Griechenlands von der Eurozone.

Um 17 Uhr dann die Nachricht: Die EU wird das Hilfsprogramm nicht verlängern. Dijsselbloem machte es eine halbe Stunde später offiziell. Griechenland habe um eine Verlängerung von einem Monat gebeten. Die Euro-Finanzminister haben dies abgelehnt.

Aus und vorbei.

Jetzt geht es vorerst einmal so weiter: Ohne die Einigung und die Zustimmung durch Parlamente in Griechenland und anderen Euro-Ländern bis zum 30. Juni verfallen die bisher blockierten Hilfskredite. Das sind 7,2 Milliarden Euro der Europäer sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF). Außerdem können weitere rund elf Milliarden Euro nicht genutzt werden, die zur Stabilisierung der griechischen Banken reserviert sind.

Am 30. Juni muss Athen einen Kredit in Höhe von 1,54 Milliarden Euro an den IWF zurück zahlen. Das wird spannend.

Und die griechische Bevölkerung? Vor den Bankomaten in Athen und Thessaloniki bildeten sich gestern lange Schlangen, detto an den Tankstellen. Die beiden Geldautomaten im griechischen Parlament waren komplett geleert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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