EZB führt Regie im Hellas-Drama

(c) REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)
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Nach dem Scheitern der Verhandlungen hat die Zentralbank die Notkredite nicht gestoppt, aber eingefroren. Die griechischen Banken bleiben zu, der Kapitalverkehr wird kontrolliert.

Athen/Frankfurt. Eine kleine Geschichte mit großer Symbolkraft: Samstagnacht in Athen. Drinnen, im Plenarsaal des Parlaments, jubeln die Abgeordneten der Syriza-Regierung über ihren Beschluss, am nächsten Sonntag ein Referendum über die verhassten Reformforderungen der internationalen Geldgeber abzuhalten – samt der klaren Empfehlung, mit Nein zu stimmen. Draußen, in den Korridoren, stehen zwei Bankomaten. Und die sind schon seit Samstagmorgen leer. Keine Euro mehr. Die Zeit der politischen Winkelzüge im griechischen Schuldendrama ist vorbei. Es regiert nun die erdrückende Macht des wirtschaftlich Faktischen. Und am Steuerruder steht weder Tsipras noch Merkel noch IWF-Chefin Lagarde, sondern Mario Draghi – also die Europäische Zentralbank, die diese Rolle stets tunlichst vermeiden wollte.

1 Was bedeutet es, dass die EZB die Notkredite zwar nicht verbietet, aber einfriert?

Konsequenterweise hätte der EZB-Rat nach seiner Telefonkonferenz Sonntagmittag die Liquiditätshilfen an griechische Banken verbieten müssen. Denn diese ELA-Kredite dürfen nur an vorübergehend illiquide, aber im Grund solvente Banken fließen. Draghi hat diese feine Unterscheidung immer davon abhängig gemacht, ob es noch eine realistische Aussicht auf eine Einigung im Schuldenstreit gibt – und nun sind die Verhandlungen offiziell gescheitert. Kommt aber diese schärfste Waffe zum Einsatz, muss die griechische Notenbank die gesamten bisher gewährten 89 Milliarden fälligstellen. Weil die Banken diese Mittel nicht haben, wäre ihre Insolvenz die logische Folge. Das griechische Finanzsystem würde sofort zusammenbrechen. Vor dieser Konsequenz schreckten die Währungshüter vorerst zurück. Stattdessen gewähren sie weiterhin den bisherigen Kreditrahmen. Aber sie stocken ihn nicht weiter auf, sondern frieren ihn beim bisherigen Niveau ein. Das klingt harmloser, als es ist. Denn die Institute nutzen den Rahmen bereits aus. Sie kämen damit nur dann über die Runden, wenn niemand mehr Einlagen abhöbe oder ins Ausland überwiese. Das Gegenteil ist zu erwarten: Am Montag dürften die Griechen erst recht die Banken stürmen. Um ein Ausbluten zu verhindern, müsste die Regierung Kapitalverkehrskontrollen einführen. Dann darf jeder Bürger nur noch einen kleinen Betrag pro Tag abheben oder ins Ausland transferieren. Doch noch gestern hat Finanzminister Varoufakis solche Restriktionen abgelehnt, weil sie „in einer Währungsunion ein Widerspruch in sich“ seien. Die Notenbank in Athen beriet über „Bankferien“ und Kapitalkontrollen. Ein Ergebnis stand bis zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe aus.

2 Führt eine Pleite Griechenlands am Dienstag automatisch zum Grexit?

Nein. Am Dienstag geht der Juni zu Ende – und Athen ist wahrscheinlich zahlungsunfähig, weil es die anstehende Rate von 1,6 Mrd. Euro an den IWF nicht überweisen kann. Das heißt: Ein Euromitglied ist dann bankrott. Das hat aber unmittelbar keine Konsequenzen für den weiteren Verbleib Griechenlands in der Währungsgemeinschaft. Europarechtler betonen: Dass die anderen Eurostaaten Griechenland hinauswerfen oder Athen einseitig den Austritt erklärt, ist aufgrund der Formulierungen in den Verträgen gar nicht möglich. Noch eher vorstellbar wäre, dass man sich einvernehmlich trennt. Wenn aber die griechischen Banken von der weiteren Versorgung mit Euro abgeschnitten sind, kommt das Land bald nicht mehr um die Einführung einer Parallelwährung herum. Diese würde den Euro zumindest als bargeldloses Zahlungsmittel de facto ablösen.

3 Was sind die Folgen, wenn bei den griechischen Banken die Euro knapp werden?

Ob geschlossene Banken oder Kontrollen des Kapitalverkehrs, die Folgen sind ähnlich: Die wirtschaftliche Aktivität im Land fällt in eine Schockstarre. Unternehmen können kaum noch Geschäfte mit dem Ausland machen. Manchen Menschen bliebe nichts anderes übrig, als auf eine archaische Tauschwirtschaft auszuweichen. Der Staat kann das freilich nicht. Er muss die Gehälter für Staatsbeamte und Pensionen auszahlen. Der Ausweg könnte sein, dass die Regierung stattdessen kurzfristige, auf Euro ausgestellte Schuldverschreibungen ausstellt – der erste Schritt zu einer Parallelwährung. Diese Papiere wären als Zahlungsmittel wenig attraktiv, weil das Zahlungsversprechen eines insolventen Staates kaum Vertrauen erweckt. Nach einigen Wochen, vermuten Experten, bliebe nichts anderes übrig, als ganz offiziell eine Parallelwährung einzuführen – zum Beispiel eine „Drachme neu“. Führt man sie nominell im Verhältnis eins zu eins zum Euro ein, wird sie sofort massiv zum Euro abwerten – ob um ein Drittel, die Hälfte oder noch viel mehr, darüber gehen die Schätzungen auseinander. Zumindest der bargeldlose Zahlungsverkehr würde bald großteils über die neue Währung abgewickelt. Als Bargeld könnten die Euro weiter im Umlauf bleiben, die sich die Griechen vorsorglich unter die Matratze gesteckt haben. Auch die im Ausland gebunkerten Beträge dürften dann teilweise zurückfließen. Auf jeden Fall schließt die Praxis einer Parallelwährung nicht aus, dass Griechenland formal Teil des Eurosystems bleibt – also etwa der griechische Notenbankgouverneur weiterhin an den EZB-Ratssitzungen teilnimmt.

4 Maßt sich die EZB durch das Druckmittel Notkredite eine Macht an, die ihr nicht zusteht?

Nein. Freilich ist es aus demokratiepolitischer Sicht unerfreulich, dass eine Gruppe von 25 Personen, die durch keine allgemeine Wahl legitimiert sind, über das Wohl und Wehe Griechenlands und letzten Endes auch die Zukunft Europas entscheidet. Aber die EU-Granden versichern glaubhaft: Niemand leide unter dieser nicht geldpolitischen, sondern rein politischen Machtfülle mehr als sie selbst. Sie wollen nicht als die bösen Technokraten dastehen, die den Stecker gezogen haben. Deshalb dehnen sie ihren Spielraum im Sinn Athens so großzügig aus, wie es durch ihre Statuten gerade noch zu vertreten ist. Diese Regeln aber, an die sie am Ende doch gebunden sind, haben nicht sie selbst willkürlich festgeschrieben. Sie standen am Beginn des Eurosystems – als gemeinsamer Beschluss demokratisch gewählter Staats- und Regierungschefs.

5 Wie wird die EZB in den nächsten Tagen und Wochen weiter agieren?

Das ist völlig offen. Denn Frankfurt hat sich mit dem Einfrieren des Notkreditrahmens nicht über den Sonntag hinaus verpflichtet. Im Gegenteil: In ihrer Aussendung betont die EZB sogar, man stehe bereit, „die Entscheidung zu revidieren“. Damit sind mehrere Szenarien denkbar: Draghi und seine Gouverneure könnten doch noch mit Zweidrittelmehrheit die Notkredite komplett stoppen. Sie könnten sie aber auch weiter aufstocken, wenn sich die Lage entspannt. Allerdings gerät die EZB bei einer nachgiebigen Haltung immer stärker in Erklärungsnot: Wenn am Dienstag wie erwartet das Hilfsprogramm ausläuft und der IWF mangels Überweisung der Kreditrate die Zahlungsunfähigkeit feststellt, verlieren die Sicherheiten der griechischen Banken rapide an Wert. Zwar sind die Anforderungen an deren Qualität bei ELA-Krediten der eigenen Notenbank niedriger als bei direkten Krediten aus Frankfurt (die es schon seit Februar nicht mehr gibt). Aber völlig wertlose Anleihen eines bankrotten Staates dürfen es eben auch nicht sein. Als spätester Tag der Wahrheit für die EZB lässt sich der 20. Juli am Horizont ausmachen. Denn zu diesem Termin steht die Rückzahlung eines Kredites an, den diese selbst vergeben hat.

6 Könnte der Internationale Währungsfonds noch eine Pleite am Dienstag verhindern?

Das ist eher unwahrscheinlich. IWF-Chefin Christine Lagarde hat sich gerade in der letzten Zeit ziemlich kompromisslos gezeigt. Dass der anstehende Betrag von 1,6 Mrd. Euro erst am 30. Juni überwiesen werden muss, war schon ein sehr seltenes und ungewöhnliches Entgegenkommen. Dafür hat der Fonds mehrere im Lauf des Monats fällige Beträge zusammengefasst und auf den Monatsletzten hinausgeschoben.

7 Welchen Ausweg könnten Geldgeber und EZB bei ihrem Plan B im Sinn haben?

In zumindest in einem Punkt irrt Varoufakis auf jeden Fall: dass Kapitalverkehrskontrollen innerhalb der Währungsunion nicht möglich wären. Der Gegenbeweis ist Zypern, wo es diese Kontrollen im Jahr 2013 sehr wohl gegeben hat. Sie haben dort recht rasch eine späte Einigung erzwungen. Ein ähnlicher Ausweg könnte den Geldgebern und Notenbankern nun auch für Griechenland vorschweben: Nach einer harten Woche mit geschlossenen Banken und stockender Wirtschaftsaktivität besinnen sich die Griechen eines Besseren und stimmen bei dem Referendum am Sonntag für das letztgültige, sehr weitreichende Angebot der „Institutionen“. Die Chancen dafür stehen schon heute gut: Laut einer Umfrage würden 47 Prozent der Griechen für ein Abkommen mit den Geldgebern stimmen, nur 33 Prozent sind dagegen (der Rest ist unentschieden). Auch wenn die Befragung vor dem Wochenende durchgeführt wurde, scheinen viele Griechen viel eher bereit für einen Kompromiss zu sein als ihre Regierung. Was ebenfalls auf diese Art von PlanB hindeutet: Die EU-Kommission veröffentlichte am Sonntag die aktuellen Vorschläge, über die vor dem Scheitern der Verhandlungen mit Griechenland gesprochen wurde – „im Interesse der Transparenz und zur Information der griechischen Bevölkerung“. Mit anderen Worten: Die europäischen Geldgeber wollen die Syriza-Polemik von der „verletzten Würde des Volkes“ konterkarieren und die Griechen auf ihre Seite ziehen. Im für die Geldgeber günstigsten Fall könnte die widerborstige Syriza-Regierung nach dem Referendum zurücktreten und ein konsensfreudigeres Kabinett das Ruder in Athen übernehmen.

8 Welche Folgen haben die jüngsten Entwicklungen für Griechenland-Reisende?

Das österreichische Außenministerium rät Griechenland-Reisenden dazu, für die gesamte Aufenthaltsdauer ausreichend Bargeld mitzunehmen. Am Sonntag wurde auf der Website des Ministeriums ein entsprechender Hinweis veröffentlicht: Es könne bei Barabhebungen „zu längeren Wartezeiten und Engpässen kommen“. Auch Bankomaten können „unter Umständen nicht immer ausreichend mit Bargeld versorgt sein“. Es wird daher empfohlen, für die gesamte Reisedauer ausreichend Barmittel mitzuführen. Bereits am Samstagmorgen waren laut Bloomberg 500 von 7000 griechischen Geldautomaten leer – darunter auch die beiden im Parlament.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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