Deutschland: Mindestlohn vernichtet tausende Jobs

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Seit einem halben Jahr gibt es den Mindestlohn. Die Sozialdemokraten und die Grünen sprechen von einem Erfolg. Doch es gibt auch zahlreiche negative Auswirkungen.

Berlin/Wien. Kaum eine andere sozialpolitische Maßnahme wurde in Deutschland so heftig diskutiert wie der seit Jahresbeginn geltende Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Die Wirtschaft malte vor der Einführung den Teufel an die Wand und warnte vor dem Abbau von hunderttausenden Arbeitsplätzen. Auch drohten Firmen mit der Anhebung der Preise. Vor allem wirtschaftsliberale Ökonomen haben den Mindestlohn scharf kritisiert. Ein erklärter Gegner ist beispielsweise Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. „Der Mindestlohn war der größte Fehler, weil der Staat damit in die Preisstrukturen der Marktwirtschaft eingreift. Das darf er nicht“, so Sinn.

Wie sieht nun die Bilanz nach einem halben Jahr Mindestlohn aus? Die Sozialdemokraten und die Grünen feiern die Einführung als Erfolg. Denn im ersten Halbjahr 2015 ist in Deutschland die Arbeitslosigkeit gesunken. Auch Konsumenten atmen teilweise auf.

Preiserhöhungen

Es kam in Deutschland zu keinen flächendeckenden Preiserhöhungen - wie dies einige Kritiker befürchtet haben. Doch in einigen Branchen gab es sehr wohl negative Auswirkungen. Verteuert haben sich unter anderem Taxifahrten. Im Vergleich zum Vorjahr zahlen Taxikunden in Deutschland jetzt durchschnittlich um 12,2 Prozent mehr. In manchen Regionen gab es sogar Preissteigerungen von 18 Prozent. Die Geschäftsführer der Taxiverbände nennen den Mindestlohn als Grund. Auch beim Bäcker, beim Friseur und im Gastgewerbe müssen Verbraucher tiefer in die Tasche greifen. Besonders betroffen davon sind Regionen in Ostdeutschland, wo es der Wirtschaft ohnehin nicht gut geht.

Auswirkungen gab es zudem in der Landwirtschaft. Denn der Mindestlohn gilt auch für Erntehelfer. Daher verteuerte sich Gemüse um neun Prozent – und Obst um fünf Prozent. Eine weitere spannende Frage ist die Auswirkung des Mindestlohns auf den Arbeitsmarkt. Wie bereits erwähnt ging in Deutschland im ersten Halbjahr 2015 die Arbeitslosigkeit zurück. Doch dies hängt in erster Linie mit der guten Konjunktur zusammen. Laut einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel sind seit Einführung des Mindestlohns 160.000 sogenannte Minijobs weggefallen. Das ist der stärkste Rückgang seit 15 Jahren.

Bei einem Minijob handelt es sich um eine geringfügig entlohnte Beschäftigung. In Deutschland spricht man auch von 450-Euro-Jobs. Der Mindestlohn hat nun viele dieser Tätigkeiten vernichtet. Die Betroffenen dürften noch tiefer in Hartz IV gerutscht sein. Nicht nur Ökonomen, sondern auch die deutsche Minijob-Zentrale in Bochum nennt den Mindestlohn als wahrscheinlichste Ursache für den starken Rückgang der Minijobs.

Andere Experten vermuten, dass solche Minijobs in Schwarzarbeit umgewandelt wurden. So hat der Linzer Universitätsprofessor Friedrich Schneider bereits im Februar vorausgesagt, dass der Mindestlohn heuer in Deutschland zu einem Anstieg der Schwarzarbeit führen wird.

SPÖ will einen Mindestlohn

Die Situation in Deutschland könnte auch in Österreich die Debatte über einen Mindestlohn anheizen. Denn die SPÖ fordert in Österreich einen Mindestlohn von 1500 Euro brutto. Doch die Wirtschaft legt sich quer. Die Wirtschaftskammer befürchtet Mehrkosten für die Unternehmen von 350 Millionen Euro. Das wäre angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage in Österreich und der hohen Arbeitslosigkeit nicht zumutbar, argumentiert die Wirtschaftskammer. Am morgigen Mittwoch werden in Österreich neue Zahlen über die Arbeitslosigkeit veröffentlicht. Experten sagen einen weiteren Anstieg voraus.

Auch ist zu beachten, dass es in Österreich schon jetzt Mindestlöhne gibt. Durch die flächendeckenden Kollektivverträge erhalten rund 98 Prozent der Arbeitnehmer ein von der Gewerkschaft ausgehandeltes Mindesteinkommen. Wirtschaftsliberale Ökonomen halten das österreichische Modell für besser. Denn bei uns verhandeln die Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer die Kollektivverträge für einzelne Branche aus. Legt die Regierung einen Mindestlohn fest, wird die Autonomie der Sozialpartner massiv eingeschränkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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