Analyse: Die Therapie gefährdet den Patienten

(c) Bloomberg (Andrew Harrer)
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Seit Jahrzehnten antworten die Zentralbanken auf jede Krise mit billigem Geld. Aber jetzt warnt ausgerechnet die „Zentralbank der Zentralbanken“: Das funktioniert genau betrachtet nicht.

Wien/Basel. Ihre Worte sind wohl gewählt und klingen erst einmal nicht dramatisch – aber wenn man das ökonomische Kauderwelsch der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) bei der Präsentation ihres Jahresberichtes am Sonntag in Basel ins Deutsche übersetzt, wird die Sache spannend.

Die sogenannte Zentralbank der Zentralbanken stellt in ihrer Analyse nicht nur die Wirksamkeit lockerer Geldpolitik zur Krisenbekämpfung infrage, sie warnt sogar vor einem Teufelskreis immer weiter fallender realer (und nomineller) Zinssätze – und sagt ganz deutlich: „Das Undenkbare könnte zur Routine werden. Das sollte nicht passieren.“

Die BIZ ist die älteste internationale Finanzinstitution überhaupt, gegründet nach dem Ersten Weltkrieg, um die Reparationszahlungen der Deutschen an die Siegermächte abzuwickeln. Geblieben ist von diesem ersten Mandat freilich nur, dass die BIZ bis heute eine entscheidende Rolle beim Goldhandel zwischen Zentralbanken spielt. Ansonst ist das in Basel beheimatete Institut heute eher als Zigarrenklub für Zentralbanker zu verstehen denn als Bank.

Die angeschlossene Analyseabteilung ist aber sehr gut ausgestattet – sowohl, was das Personal, als auch Daten und Modelle betrifft. Die Warnungen der BIZ haben die Angewohnheit, sich zu bewahrheiten. Zuletzt geschah dies bei der großen Finanzkrise 2007.

Operation gelungen . . .

Nebenbei: Die BIZ gilt auch als institutionelle Mutter der Europäischen Zentralbank (EZB). Deren Vorgänger, das Europäische Währungsinstitut, war in der BIZ beheimatet. Sein erster Chef: der kürzlich verstorbene Alexandre Lamfalussy, der 1994 direkt vom Chefsessel der BIZ in jenen des Währungsinstituts wechselte.

Für ihren aktuellen Jahresbericht hat die BIZ die Entwicklung finanzieller Booms und die darauffolgenden Krisen seit 1980 untersucht. Das Ergebnis: Während der Booms kommt es zur Fehlallokation von Ressourcen – was letztlich zum Platzen der Blase führt. Fehlallokation heißt: Geld fließt in aufgeheizte Sektoren, wo es unter „normalen“ Umständen nicht landen würde. BIZ-Analyst Claudio Borio nennt in diesem Zusammenhang die Sektoren Bau und Finanz.

Aber – „lockere Geldpolitik kann die Fehlallokation aus der Boomphase nicht korrigieren. Die Geldpolitik kann einen stillgelegten Kran nicht wieder in Betrieb nehmen – wenn es ohnehin ein Überangebot an Gebäuden gibt“, so Borio. Im Gegenteil: Wie die Untersuchungen der BIZ zeigen, kommt es in Phasen der Krise zu einer noch stärkeren Fehlallokation des Geldes – das dann immer besonders billig aus den Zentralbanken strömt. Laut BIZ wurden in Phasen nach dem Boom die Ressourcen rund dreimal so stark „falsch“ verwendet wie während des Booms.

Das zeigt ein echtes Problem des bisher als gegeben angenommenen Weges der Zentralbanken, Krisen mit billigem Geld zu behandeln. Diese Politik scheint die Probleme der Wirtschaft unter der Oberfläche zu verstärken, während sich die Daten oberflächlich positiv entwickeln.

Das Ergebnis ist ein Teufelskreis: Die Boomphasen werden stärker und die folgenden Krisen umso schlimmer, was die Zentralbanken zu immer drastischeren Billiggeldmaßnahmen veranlasst.

. . . Patient liegt im Sterben

Eine Sackgasse, an deren Ende ein immer höher gen Himmel wachsender Schuldenberg steht. 2002 kippten die realen, an die Inflation angepassten Zinsen erstmals unter den Nullpunkt – infolge der Dotcom-Krise. Bis zur Lehman-Krise stiegen sie wieder auf knapp über zwei Prozent – aber seit 2008 fallen sie immer weiter unter die Nulllinie. „Inzwischen stehen sie dort schon länger als während der großen Inflation der 1970er-Jahre“, so Borio.

Im Jahr 2000 lag die Gesamtverschuldung der Staaten und Haushalte noch unter 200 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Inzwischen steht dieser Wert bei 260 Prozent. Die BIZ appelliert nun an die Entscheidungsträger, den „Weg in die Normalität“ möglichst rasch wieder anzutreten – aber in der Realität gibt es mancherorts sogar schon nominal negative Zinsen. Wir haben die „undenkbare“ Realität, vor der die BIZ warnt, also schon betreten – und der Patient droht, an einer Überdosis zu sterben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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