Juncker: Nein der Griechen kommt Nein zur EU gleich

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Die Tür für Verhandlungen steht weiter offen, betonen europäische Regierungschefs und Finanzminister einhellig. An eine Einigung vor Dienstag Mitternacht aber glaubt niemand mehr.

Wien. Auch an Jean-Claude sind die vergangenen Tage und Nächte nicht spurlos vorübergegangen. Als der Kommissionspräsident am gestrigen Montag im großen Pressesaal des Berlaymont-Gebäudes vor die wartenden Journalisten trat, um über die jüngsten Entwicklungen im griechischen Schuldenstreit zu referieren, wirkte er müde, blass – und vor allem: sehr ernst. Die persönliche Enttäuschung über den griechischen Ministerpräsidenten stand dem Luxemburger ins Gesicht geschrieben.

Juncker fühlt sich „verraten“, weil Alexis Tsipras ihn von der Ankündigung eines Referendums über die von den Gläubigern geforderten Sparmaßnahmen am kommenden Sonntag nicht im Vorfeld informiert hatte – trotz seines vergleichsweise guten Verhältnisses mit dem Syriza-Chef. Während der vergangenen Wochen hatte der Kommissionspräsident immer wieder versucht, zwischen der griechischen Regierung und den Euro-Finanzministern zu vermitteln. Die Referendumspläne aber brachten zuletzt auch in der Euro-Gruppe das Fass zum Überlaufen: Samstagnachmittag verkündete deren Chef, Jeroen Dijsselbloem, nach einer geschichtsträchtigen Sondersitzung, dass das griechische Hilfsprogramm nicht über den 30. Juni hinaus verlängert werde. Seither hat sich die Situation bekanntermaßen dramatisch zugespitzt. Die Chancen, dass doch noch eine Einigung zwischen den Gläubigern und der Regierung in Athen zustande kommt, verringern sich stündlich – wenngleich in mehreren europäischen Hauptstädten wie Madrid, Paris oder Berlin beinahe gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass die Türen für weitere Verhandlungen bis Dienstag Mitternacht offen stehen. „Wir sind bereit, jeden Tag und jede Stunde“, erklärte auch Finanzminister Hans Jörg Schelling am Montag am Rande einer Konferenz in Wien. Doch die griechische Regierung zeigt bisher keine Bereitschaft, die aus ihrer Sicht unerfüllbaren Forderungen der Gläubiger zu akzeptieren. Ändert sich an dieser Situation bis null Uhr nichts, läuft das zweite Hilfsprogramm für Griechenland endgültig aus. Das Land verliert damit den Anspruch auf insgesamt gut 18 Milliarden Euro: 7,2 Milliarden an Krediten und elf Milliarden zusätzlich bereitstehende Hilfen für die Banken. Zudem muss Athen am Dienstag eine fällige Rate an den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,6 Milliarden Euro begleichen.

Dass die Regierung dieses Geld rechtzeitig aufbringen kann, ist angesichts der leeren Staatskassen eher unwahrscheinlich, wie Währungskommissar Pierre Moscovici am Montag in einem Interview mit dem französischen Sender RTL bestätigte. Doch auch wenn ein solcher Zahlungsausfall nicht die unmittelbare Pleite Griechenlands bedeuten würde (siehe auch Artikel Seite 1) – die Lage ist ernster denn je.

Vorerst kein Sondergipfel geplant

Am Sonntag wird die griechische Bevölkerung den Regierungsplänen zufolge über das letzte von den Gläubigern unterbreitete Angebot abstimmen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte am Montag, dass sich die EU-Partner auch nach dem Referendum „Verhandlungen nicht verschließen“ wollen. Das dürfte freilich nur für den Fall gelten, dass sich die Bürger Griechenlands für die Sparmaßnahmen entscheiden: Nach dem Auslaufen des ersten Hilfsprogramms, so Merkel, liege es an Athen, eine Bitte für weitere Hilfen zu formulieren. Auch Juncker mahnte, ein Nein würde einem „Nein zur EU“ gleichkommen.

Eine Reise nach Athen oder Brüssel plant Merkel in den kommenden Tagen übrigens nicht: Während die Rufe nach einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs angesichts der dramatischen Ereignisse „in den nächsten Stunden oder Tagen“ lauter werden, sieht Merkel derzeit „keinen zwingenden Grund“ für ein solches Treffen. Den Ernst der Lage aber will sie nicht leugnen: „Der Satz ,Scheitert der Euro, dann scheitert Europa‘ steht jetzt wieder im Zentrum.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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