Die Volksabstimmung wird zur Farce

A municipal worker arranges ballot boxes to be used for a referendum, announced by the Greek government for July 5, at the northern city of Thessaloniki
A municipal worker arranges ballot boxes to be used for a referendum, announced by the Greek government for July 5, at the northern city of Thessaloniki(c) REUTERS (ALEXANDROS AVRAMIDIS)
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Das griechische Referendum vom kommenden Sonntag ist nicht nur rechtlich zweifelhaft – es spaltet auch die Gesellschaft.

Wien. Es ist schon die zweite Volksabstimmung, die zum Thema Schuldenfrage in Griechenland geplant ist – und wie damals steht auch die jetzige unter einem schlechten Stern: Als der sozialistische griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou im November 2011 das von ihm geplante Referendum zu den Sparvorgaben absagte, musste er auch seinen Sessel als Regierungschef räumen. Nun steht das Schicksal von Premier Alexis Tsipras vom Radikalen Linksbündnis Syriza auf dem Spiel, seit er vergangenen Freitag eine Abstimmung angekündigt hat.

Von Anfang an beschwerten sich die Oppositionsparteien, dass es sich bei dem Votum um eine Farce, eine Instrumentalisierung des Wählers handelt. Das Irritierende ist, dass die Regierungskoalition aus Syriza und rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel) das gar nicht abstreitet. Die Abstimmung sei eine „Fortführung der Verhandlung mit anderen Mitteln“, hieß es. Die Entscheidungsträger der Regierung um Tsipras sehen nur die Stärkung ihrer eigenen Verhandlungsposition im Fall eines Nein – nicht aber die demokratiepolitisch fragliche Vorgehensweise, die an Volksabstimmungen von autoritären Regimen erinnert, die ihre politische Dominanz in für sie günstigen Umständen bestätigen wollen.

Warnungen in den Wind geschlagen

Selbst Mittwochnachmittag, nach dem offiziellen Zahlungsausfall des Landes gegenüber dem IWF und trotz der wieder angelaufenen Verhandlungen, beharrte Tsipras auf dem Referendum – auch als Antwort auf die „Erpressungen“ der Gläubiger. Die Warnungen sämtlicher Regierungschefs der Eurozone, dass ein Nein der Bürger das Ausscheiden aus der Eurozone bedeuten könnte, schlägt er in den Wind.

Der Erste, der bei der Parlamentsdiskussion zur Ansetzung des Referendums die Verfassungsmäßigkeit der Volksabstimmung anzweifelte, war vergangene Woche der erfahrene sozialistische Politiker und Verfassungsrechtler Evangelos Venizelos. Er stellte fest, dass die Verfassung nur Voten zu „nationalen Fragen“ zulasse – und ausdrücklich budgetäre Fragen ausschließe. Um genau dies – eine Frage zu den budgetären Auswirkungen eines Sparpakets handle es sich jedoch in diesem Fall. Die Konservativen setzten nach: Die Bürger hätten kaum Zeit für eine Meinungsbildung, kritisierten sie. Darüber hinaus sei die Frage völlig unklar. Es handle sich um ein reines Positionspapier, das überdies bereits am Tag der Ausrufung des Referendums überholt gewesen sei. Ob die technische Vorbereitung der Abstimmung in dieser kurzen Zeit möglich ist, wird sich erst am 5. Juli an den Wahlurnen herausstellen. Jedenfalls wurden die Wählerverzeichnisse der letzten Wahlen vom Jänner 2015 übernommen, selbst die Wahlkommissionen sollen dieselben bleiben, um Zeit zu sparen. Auslandsgriechen – etwa die griechische Kolonie bei der Kommission in Brüssel – sind nicht wahlberechtigt und müssten einen Kurztrip in die Heimat machen, um eine Stimme abgeben zu können.

Tatsächlich ist der Druck auf die Regierung fast unerträglich geworden. Pensionisten fallen in den Warteschlangen vor den Banken in Ohnmacht, der Großteil der Griechen hat den Urlaub storniert, Zahlungen etwa an die Sozialträger werden aufgrund der Kapitalbeschränkungen so gut wie keine mehr vorgenommen. Der völlige Zusammenbruch der Banken droht.

Die Bunkerstimmung in der Regierung ruft bedenkliche Verhaltensweisen hervor. Der Stimmzettel etwa, der das Nein zum Gläubigervorschlag über das Ja setzt, ist manipulativ. Noch bedenklicher sind die Aktionen radikalisierter Parteigänger von Syriza, einer jungen Partei, die in den hunderten Interessenvertretungen des Landes, in Gemeinden, Gewerkschaften, Kammern und Berufsgruppen nur schwach vertreten ist. Da das Bankensystem, der Handel und die Gesellschaft insgesamt vor dem Zusammenbruch stehen, wenden sich immer mehr Gruppen in Schreiben an die Öffentlichkeit und fordern sie auf, mit Ja zu Europa zu stimmen. In der Manier von Jakobinern stürmten Syriza-Vertreter den Verwaltungsrat der Athener Anwaltsvereinigung, der zum Thema Referendum tagte, und hinderte ihn mit Gewalt daran, im Lauf der Sitzung eine Empfehlung für das Ja abzugeben. Doch immer mehr Berufsgruppen stellen sich gegen die Syriza-Politik, selbst Sympathisanten wenden sich angesichts der immer deutlicheren autoritären Züge von der Partei ab. Syriza-Kader, die versuchten, an die vor den Bankomaten wartenden Menschenschlangen Werbung für das Nein zu verteilen, wurden von der wütenden Menge verjagt.

Pro-Europa-Demo vor Parlament

Politiker wie der Bürgermeister von Thessaloniki, Giannis Boutaris, sorgen sich um die Spaltung der Gesellschaft im Zeichen der Abstimmung und fürchten bereits eine bürgerkriegsähnliche Stimmung. Meinungsumfragen zu den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen haben in diesem Klima nur begrenzte Aussagekraft, die Mehrheiten scheinen sich stündlich zu verschieben. Vor der Empfehlung des Premiers für das Nein existierte eine Mehrheit für eine Zustimmung zum Gläubigerpaket, Syriza würde nach wie vor etwaige Wahlen gewinnen: Dieses Bild scheint sich nun zu ändern, wie auch die große Pro-Europa-Demonstration Dienstagabend vor dem Parlament gezeigt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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