"Rede lieber nicht über Griechenland"

GREECE
GREECE(c) APA/EPA/IAN LANGSDON
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Wenn ein alter Mann den Bäcker um ein Brot bittet, ist das kein Grund, gegen die Sparmaßnahmen in Griechenland zu stimmen. Ein Ja fällt aber schwerer.

Du darfst mit Papa nicht mehr über Griechenland reden, es regt ihn so auf“, sagte meine Mutter kürzlich zu mir. Mein Vater ist 91 Jahre alt, und er ist Grieche. Er kam mit 18 Jahren mit einigen Freunden von Thessaloniki nach Wien und blieb hier. Den Großteil seines Lebens hat er also in Österreich verbracht. Im Unterschied zu seinen Freunden fuhr er nur sehr selten nach Griechenland. Komischerweise war es ihm kein Bedürfnis, uns seine Heimat zu zeigen. Das tat meine Mutter. Dabei liebt mein Vater – wenn auch auf eine sehr eigenwillige Weise – sein Herkunftsland, ja ich glaube, er vermisst es sogar nach all den Jahren immer noch. Mit seinen Neffen, die heute in Athen leben, telefoniert er täglich. Schimpft mit ihnen, leidet mit ihnen und sagt ihnen als Ältester der Familie, was sie tun sollen. Sie interpretieren das als Zuneigung.

Einmal Grieche, überall Grieche

Aber mein Vater blieb auch auf andere Weise mit Griechenland verbunden. Als Anfang der 1980er-Jahre der Fernsehsatellit auf unserem Wohnhaus montiert wurde, war für meinen Vater eigentlich nur eines wichtig. Die drei griechischen Sender mussten einwandfrei funktionieren, alles andere war nebensächlich. Vor dem Fernseher sitzend verfolgte er jede Entwicklung und jede politische Entscheidung, als wäre er selbst davon betroffen. Waren seine griechischen Freunde wieder einmal bei uns zu Besuch, erklärte er ihnen mit rasendem Puls, dass die Griechen unfähig und verrückt seien und ihr Land mit dieser Politik in den Ruin treiben würden. Christos und Costa waren anderer Meinung. Diese Diskussionen wurden – typisch griechisch – also lautstark geführt und endeten fast immer damit, dass die beiden wild gestikulierend das Haus verließen – aber am nächsten Tag wiederkamen, um mit meinem Vater Kaffee zu trinken und sich mit ihm die griechischen Nachrichten anzuschauen. Und das Spiel begann von vorn.

Wagten jedoch Bekannte oder gar Familienmitglieder nicht griechischer Herkunft auch nur den Kopf über Griechenland zu schütteln, erfuhren sie umgehend, wie ein Grieche mit Kritik an seinem Land umgehen kann: überhaupt nicht. Mein Vater ist da kein Einzelfall.

Bestes Symbol für den Stolz und die Sturheit der Griechen ist ihre Nationalflagge, die überall weht. Sie besteht aus neun gleich breiten, horizontalen Streifen in Blau und Weiß. Sie entsprechen den neun Silben des Wahlspruchs des griechischen Befreiungskrieges (1821 bis 1829) gegen die Osmanen: E-lef-the-rí-a i thá-na-tos. Freiheit oder Tod.

Fragt man Griechen, ob diese Lebensdevise auch noch heute, fast 200 Jahre nach dem Ende der Revolution, die ihre ist – ein lautes „Ja!“ wäre die Antwort vieler.

Man mag es verstehen können oder auch nicht: Die Geschichte hat die Griechen gelehrt, allem Aufoktroyierten und jeder Einmischung von außen zu trotzen. Und wenn der Präsident der EU-Kommission, Jean Claude Juncker, ihnen vergangenen Montag aus Brüssel dringend nahelegte, wie sie bei dem Referendum zu wählen haben, und als Draufgabe noch zwei, drei eingelernte Sätze auf Griechisch nachschob, war das vor allem eines: kontraproduktiv.

Doch zurück zu meinem Vater: Jetzt, wo die große Krise eingetreten ist, wie er es immer prophezeit hatte, ist ihm gar nicht mehr nach lauten Streitgesprächen. Er ist still geworden. Recht gehabt zu haben, macht nicht immer zufrieden. Mein Vater leidet und ist verwirrt, fängt er doch mit den klaren, schlüssigen Aussagen von Merkel, Juncker und Lagarde genauso wenig an wie mit den dubiosen Parolen und Kampfansagen von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis.

Ja aus Angst, nicht aus Überzeugung

Womit er aber etwas anfängt, sind die Sorgen von Elina, seiner 33-jährigen Großnichte, die auch in Athen lebt. Ihr Chef habe sie und ihre Kollegen am Donnerstag in der Früh zusammengerufen, erzählt sie ihm am Telefon. Er sagte ihnen, dass die Firma am nächsten Montag zusperren wird, wenn das Referendum mit einem Nein ausgeht. Seitdem die Banken geschlossen haben, hätte keiner der Kunden mehr in dem IT-Unternehmen angerufen, alle Geldüberweisungen seien ausgeblieben. Dem Unternehmen ihres Freundes drohe ebenfalls das Aus. „Onkel, wir werden Ja wählen, nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst. Wir wollen doch auch eine Zukunft.“

Noch tiefer traf ihn eine Begebenheit, die ein Freund in Thessaloniki erlebte: Wie jeden Samstag stellte er sich bei einer kleinen Bäckerei an. In der Schlange vor ihm stand ein alter Mann, der ein Hemd und einen Anzug trug. Als er an der Reihe war und der Bäcker ihn fragte, was er denn wolle, sagte er mit leiser Stimme: „Bitte geben Sie mir ein Brot. Ich habe kein Geld.“ Der Bäcker packte zwei Laibe ein, gab sie ihm wortlos und verabschiedete ihn dann mit einem Nicken. „Wie kann man ein Volk so aushungern. Wie kann man Menschen so demütigen?“, fragte mich daraufhin mein Vater – und schluchzte.

Leicht, aus der Ferne vernünftig zu sein

Das rührte mich, dennoch blieb ich lieber auf der sicheren Vernunftschiene und wiederholte oft Gehörtes: Sie haben sich die Misere schon selbst zuzuschreiben. Auch von Griechenland kann man erwarten, dass es sich wie alle anderen EU-Staaten an die Spielregeln hält. Wenn Tsipras und Varoufakis glauben, sie können mit trotzigen Kampfparolen die anderen europäischen Regierungschefs in die Knie zwingen, zeugt das nicht nur von Selbstüberschätzung, sondern vielmehr von Dummheit.

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„Und Papa, Du weißt doch, dass die Griechen auf viel zu großem Fuß gelebt, Milliardenkredite bekommen und trotzdem Schulden gemacht haben. Steuern haben sie nach Lust und Laune bezahlt. Und immer noch wollen viele von ihnen nicht kapieren, dass es Zeit ist umzudenken“, versuchte ich mich im Brustton der Überzeugung – und fühlte mich herzlos dabei. Denn satt und fern, lässt es sich so leicht gescheit sein. Dem alten Mann, der kein Geld hat, und Elina und den vielen anderen, die bald ihren Job verlieren werden, ist damit nicht geholfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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