Der Mann mit dem Megafon

Das Set-Dekor der Runway Show zur Sommerkollektion von Fendi war vom Palazzo della Civilta Italiana inspiriert.
Das Set-Dekor der Runway Show zur Sommerkollektion von Fendi war vom Palazzo della Civilta Italiana inspiriert. beigestellt
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Der CEO von Fendi, Pietro Beccari, gilt als Experte für Luxus-Storytelling. Ein Gespräch über das neue Headquarter in Rom und die Premiere bei der Haute Couture.

Nach den USA, Deutschland und Frankreich arbeiten Sie nun nach Langem wieder in Italien – wie fühlt sich das an?

Pietro Beccari: Großartig, und zwar weil ich in meiner Muttersprache arbeiten kann. Das ist ein unglaublicher Vorteil. Außerdem kenne ich die Italiener, weiß, wie sie ticken. Italiener sind sehr flexibel und flink, das schätze ich. Hier gibt es nicht dieses „Anfangs nein, dann vielleicht und schließlich doch“, wie ich es von anderen Ländern kenne.

Ist für eine Spitzenposition im Luxusbusiness eine besondere Sensibilität vonnöten?

Man muss stets ein Gefühl für das Produkt entwickeln, für das man steht – in der Luxusbranche ist das noch mehr der Fall. Wir verkaufen etwas, von dem viele Menschen träumen, das muss man nachvollziehen können. Dass ich selbst das Schöne wertschätze, eine Leidenschaft für Kunst habe, ist mir sicher entgegengekommen. Außerdem habe ich in meinem Job täglich mit kreativen Menschen und Künstlern zu tun, mit Designern, Architekten, Innenausstattern, das schärft den Blick.

Den Blick für das Schöne?

Es ist wie mit einer Fremdsprache, die man lang nicht praktiziert hat: Nach ein wenig Anlaufzeit beginnt sie wieder zu fließen. So bin ich zu meinen ursprünglichen Interessen zurückgekehrt. Heute wäre es für mich nur schwer vorstellbar, wieder zu Massenprodukten zurückzuwechseln.

Wie würden Sie Fendi innerhalb des LVMH-Portfolios charakterisieren, ist es das italienische Luxusflaggschiff?

Wir haben eine Sonderstellung, unabhängig von der Nationalität, weil keine andere Marke vergleichbares handwerkliches Können mit unserer speziellen Einstellung kombiniert. Nämlich diejenige, dass wir uns nicht ganz ernst nehmen, dass wir nicht völlig im Ernst des perfekt beherrschten Handwerks aufgehen.

Ist das auch der Esprit der Fendi-Familie?

Selbstverständlich. Als die fünf Fendi-Schwestern, also die zweite Generation, das Unternehmen ihrer Mutter übernahmen – zu einem Zeitpunkt, als Pelz sehr traditionell verarbeitet wurde – haben sie Verrat begangen an den Konventionen des Metiers. Wobei Verrat natürlich das falsche Wort ist, weil es um Mut und Weitsicht ging, als die fünf sich vor fünfzig Jahren an Karl Lagerfeld wandten, um neue kreative Impulse in das Unternehmen zu bringen. Pelz mit anderen Materialien zu kombinieren, Pelz wie Textil zu behandeln, das geht alles auf die Fendis zurück.

Es heißt über Sie, dass Sie sich ausgezeichnet auf Storytelling bei der Positionierung einer Marke verstehen. Welche Geschichten gab es denn bei Fendi zu erzählen?

Es ging nicht wirklich darum, sich neue Geschichten auszudenken. Aber man musste den Erzählern vielleicht ein Megafon in die Hand drücken. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich will, dass wir lauter werden, dass man uns besser hört.

Eine Ihrer ersten Entscheidungen war es, „Roma“ in das Logo zu schreiben. Ist die Stadt entscheidend für die Markenidentität?

Selbstverständlich. Rom assoziieren viele mit Dolce Vita, großer Lebensfreude, was der Marke zugutekommt. Wenn ich jemandem in Chongqing unser Logo mit „Fendi Roma“ zeige, dann habe ich ihm schon etwas über uns erzählt, noch ohne ein Wort gesagt zu haben. Rom, das steht für Schönheit, Fantasie, Leichtigkeit.

Und einen Sinn für Geschichte.

Auch das. Darum zum Beispiel unsere Beteiligung an den Renovierungsarbeiten der Fontana di Trevi, weil wir uns für das historische Erbe der Stadt verantwortlich fühlen. Es gibt so viele großartige Monumente in Italien, um die es nicht gut steht, und wir möchten unseren Beitrag leisten.

Fendi bezieht noch 2015 ein neues Hauptquartier in Roms EUR-Viertel. Der imposante Palazzo della Civiltà Italiana wurde unter den Faschisten 1937 erbaut, als Eingangsportal zum Gelände der für 1942 geplanten Weltausstellung in Rom. Im deutschsprachigen Raum wäre es nicht denkbar, ein Gebäude aus jener Zeit als Headquarter einer Luxusmarke zu rehabilitieren.

In Rom ist das anders. Erstens ist allein die Architektur so beeindruckend, dass die Menschen vielmehr stolz auf den Palazzo sind, den jeder kennt. Inspiriert war sie von manchen Pittura-metafisica-Gemälden De Chiricos. Zweitens bin ich in diesem Fall dafür, die Architektur von der Politik zu trennen, denn es entstanden in Italien in dieser Ära großartige Gebäude, die weiterhin genutzt werden. Drittens wurde der Palazzo nie von der faschistischen Regierung genutzt und ist darum nicht mit negativem Inhalt aufgeladen. Wenn Mussolini hier residiert hätte, wäre das natürlich etwas anderes.

Vor nicht allzu langer Zeit eröffnete der erste deutsche Flagship-Store der Marke in München. Ist Wien auch eine Option?

Auf jeden Fall. Wir suchen intensiv nach einer Location für eine Boutique in Wien. Die Stadt passt perfekt zu uns: Sie hat ein anspruchsvolles Profil, eine gute lokale Klientel, viele Besucher aus dem Ausland.

Zuletzt wurde ein eigener Onlineshop für Europa lanciert, Asien und die USA sollen folgen. Eine unumgängliche Parallelwelt?

Unsere Strategie ist einfach: Wir möchten das Service für unsere Kunden abrunden. Heute greift alles ineinander. Der Kunde kommt in die Boutique, sieht etwas, kauft es später online. Oder er sieht etwas im Onlineshop, kommt dann in den Laden, schaut es sich dort an und kauft es dort. Alles ist miteinander verknüpft, auch in der Logistik, bei der wir dieselben Lagerhäuser für Boutiquen und Onlinehandel verwenden. Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht zwei Arten von Kunden gibt, sondern dass wir ein Service für verschiedene Ansprüche derselben Menschen anbieten.

Musste das Sortiment angepasst werden?

Es braucht ja nicht zwei verschiedene Identitäten der Marke, je nachdem, ob sie nun in einer Boutique oder im Internet auftritt. Eher war es notwendig, das Profil unserer Produkte insgesamt zu schärfen. Dazu gehört mehr Recherche, genauere Abstimmung auf Kundenwünsche. Wir haben auch den Durchschnittspreis in unserem Angebot angehoben; dadurch haben wir manche Kunden verloren, andere dazugewonnen. Interessanterweise sind diese Neukunden deutlich jünger. Auf genau dieses Ergebnis haben wir gehofft, als wir unsere Strategie entwickelt haben.

Nächste Woche zeigt Fendi zur Feier von 50 Jahren mit Karl Lagerfeld seine erste Haute-Fourrure-Show in Paris. Sind Wiederholungen geplant?

Das kann ich noch nicht sagen. Auf jeden Fall ist das Ganze extrem spannend für uns: Wir haben so etwas noch nie gemacht, niemand anderer hat es je gemacht. Auch Karl selbst gefällt das; er schaut bekanntlich ungern in die Vergangenheit. Das Jubiläum mit einer Premiere zu feiern, passt also perfekt.

Das halbe Jahrhundert mit Lagerfeld ist ein unerreichter Rekord. Man hört aber seltener als bei Chanel die Frage, was aus Fendi ohne Lagerfeld werden könnte.

Wenn ich ganz ehrlich sein darf, dann mache zumindest ich mir nicht weniger Sorgen um ein Szenario von Fendi ohne Karl als irgendjemand bei Chanel. Er ist definitiv die Seele von vielem, was bei uns passiert und nur durch ihn möglich ist.

Derzeit wird auch eine limitierte „Karl Loves Fendi“-Kollektion angeboten. Das sieht fast wie ein Co-Branding aus – mit dem Mann, der seit 50 Jahren für das Haus arbeitet?

Ein Co-Branding ist das nicht. Karl ist eben unser Designer, und so können wir das nochmals sichtbarer machen. Es verhält sich ähnlich wie bei dem Karlito, der Karl Lagerfeld nachempfundenen Pelzfigur. Das war 2014 als ein Augenzwinkern von Silvia Venturini Fendi gedacht, zugleich als Hommage an Karl. Und wurde dann zum kommerziellen Erfolg.

Delfina Delettrez, Tochter von Silvia Venturini Fendi, hat bereits für Sie gearbeitet. Ist es wichtig, die Familiengeschichte innerhalb der Firma fortzuführen, obwohl LVMH hundertprozentiger Eigentümer ist?

Ich bin überzeugt, dass es wichtig für uns ist, wenn es hier solche Menschen gibt, die Fendi denken und sprechen und atmen, seit sie auf der Welt sind. Es ist ähnlich wie mit dem, was ich zuvor über Sprachen gesagt habe: Nichts fühlt sich so gut und natürlich an wie die eigene Muttersprache.

Sprechen Sie schon akzentfrei Fendi?

Sagen wir, in den vergangenen drei Jahren habe ich viel gelernt, und jeden Tag kommen ein paar neue Vokabeln dazu. Aber es gibt noch Spielraum, mich zu verbessern. Den gibt es immer.

Pietro Beccari

Karrierestationen
Studium in Parma und New York, dann für Benckiser, Parmalat und Henkel tätig. Ab 2006 bei LVMH, zunächst bei Louis Vuitton. 2012 Wechsel nach Rom als CEO von Fendi, zur Gänze im Besitz von LVMH.

Monumental
Fendi zahlt 2,2 Millionen Euro für die Renovierung der Fontana di Trevi. Im Herbst wird der Palazzo della Civiltà Italiana bezogen. Kolportierte Jahresmiete: 2,8 Millionen Euro. beigestellt

Hinweis

Der Autor wurde von Fendi nach Rom eingeladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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