Athen: Der Volkstribun wagt seinen eigenen Sturz

Greek Prime Minister Alexis Tsipras votes in national referendum at a polling station in Athens
Greek Prime Minister Alexis Tsipras votes in national referendum at a polling station in AthensREUTERS
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Schuldenkrise und harte Sparmaßnahmen haben Alexis Tsipras an die Macht gebracht. Jetzt steht der griechische Premier vor dem Ende seiner Regierung und setzt alles auf eine Karte.

Alexis Tsipras sprach Freitagabend vor mehr Menschen als jemals zuvor in seinem Leben. Zehntausende waren zum Syntagma-Platz im Zentrum der griechischen Hauptstadt Athen geströmt, um ihren Ministerpräsidenten zu feiern, der noch einmal dazu aufrief, beim Referendum am heutigen Sonntag mit Nein zu stimmen. Hier präsentierte sich nicht mehr der leicht tolpatschige Jung-Staatsmann der vergangenen Wochen, der in den europäischen Hauptstädten herumgereist und Hände geschüttelt hatte. Am Freitagabend war Tsipras wieder der Volkstribun, als der er sich während seiner Oppositionsjahre präsentiert hatte – vor dem Wahlsieg seines radikalen Linksbündnisses Syriza im Jänner.

Den „Erpressungen und dem Terror“ der Gläubiger müsse man widerstehen: „Wir Griechen wissen, wie man Ultimaten zurückweist!“, schrie er kämpferisch in die Menge und spielte damit auf die Ablehnung des Ultimatums von Benito Mussolinis Italien am 28.Oktober 1940 an – auf den Sieg des kleinen Griechenlands gegen das faschistische Italien.

Da war es wieder, das Gut-und-Böse-Schema der Krisenjahre, das seine Partei zur stärksten Kraft im Land gemacht und ihn selbst an die Spitze der Regierung katapultiert hatte. Der 40-jährige Politiker wurde mit einem Schlag bekannt, als er der Vorgängerpartei von Syriza, Synaspismos, 2006 zu einem unverhofft guten Wahlergebnis bei der Athener Bürgermeisterwahl verhalf. Das neue, unverbrauchte Gesicht, seine lockere Art und eine erfolgreiche Social-Media-Kampagne zeigten, dass es sich hier um einen Politiker neuen Typs handelte.

Und doch hatte Tsipras einen klaren ideologischen Hintergrund. Als Schüler schon trat er der Kommunistischen Jugend (KNE) bei und spielte bei den großen Schüler- und Studentenprotesten 1990/1991 eine führende Rolle. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verließ er 1991 die dogmatische Kommunistische Partei und schloss sich dem Linksbündnis Synaspismos an. Dort erkannte man sein Talent und machte ihn im Februar 2008 zum Parteichef. Nach der Bildung von Syriza 2009 übernahm er auch in der neuen Partei die Führung.

Der gelernte Zivilingenieur wurde zum Berufspolitiker, ihm war aber bewusst, dass die Menschen in ihm „stets das Andere“ sahen, wie er in einem Interview einmal erklärte – den Anti-Politiker sozusagen. Damals waren die Gegner die überheblichen Politiker der „satten Parteien“ – heute sind es die Bürokraten in Brüssel. Im Interview sagte er damals auch, dass er linke Politiker und Theoretiker wie Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci und „das Denken“ von Mao Tse-tung bewunderte. Marx sei aber „widerlegt“ worden.

Massenhaft Zustimmung. Tsipras Stern stieg mit der Schuldenkrise und den harten Maßnahmenpaketen der Jahre 2010–2014. Von Anfang an war er ein erklärter Gegner der Sparprogramme. Die Rezession und die Verelendung des Mittelstands ließen die Menschen in Scharen zu Syriza überlaufen. Nicht nur Beamte und Angestellte in Staatsbetrieben gehören zu seiner Klientel, sondern auch verarmte Kleinunternehmer und junge, gebildete Menschen ohne Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nach enttäuschenden 4,5 Prozent im Jahr 2009 stand Syriza bei den Parlamentswahlen von 2012 plötzlich bei 27 Prozent. Seither hat Tsipras die Gruppierung von einem losen Bündnis zu einer Partei mit einheitlichem Apparat umgewandelt.

Der Aufstieg an die Macht zeichnete sich aus durch gesunde Härte gegen politische Gegner, erstaunlichen Pragmatismus bei der Wahl der Verbündeten – und gefährlicher Ungeduld. Nach dem Sieg von Syriza bei der Europawahl im Mai 2014 war klar, dass das Bündnis einem Sieg bei der nächsten Parlamentswahl entgegenging. Doch statt abzuwarten, erzwang Tsipras im Dezember durch einen Boykott der Präsidentenwahl Neuwahlen, noch bevor das zweite Rettungsprogramm abgeschlossen war. So triumphierte Tsipras zwar bei der Abstimmung Ende Jänner 2015, stand aber bei den Verhandlungen mit den Gläubigern mit dem Rücken zur Wand.

Seither hat der unerfahrene Ministerpräsident viele Fehler gemacht und steht nun, ohne laufendes Hilfsprogramm und mit geschlossenen Banken, vor dem Ende seiner Regierung. Doch wieder hat sich gezeigt, dass er kein Politiker wie jeder andere ist: Anstatt sich, wie die Iren, Zyprioten und andere, dem Druck der Euro-Gruppe und der Europäischen Zentralbank zu beugen, probt er den Aufstand. Er hat damit alles auf eine Karte gesetzt – sowohl seine eigene politische Karriere als auch die Zukunft des Landes.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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