Ein Land im kollektiven Jubel

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Referendum. Die Gegner der Gläubigervorschriften gingen vereint in die Abstimmung, während das Ja-Lager keine zentrale Führungsfigur hatte. Die Wahl verlief großteils friedlich und ohne Probleme.

Athen. Je länger der Abend dauerte, desto deutlicher wurde der Sieg der Regierungskoalition aus Radikalem Linksbündnis Syriza und Unabhängigen Griechen (Anel): Nach Auszählung von 50 Prozent der ausgezählten Stimmen führte das Nein-Lager mit 61,2 Prozent gegenüber dem Ja-Lager mit 38,8 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag zu diesem Zeitpunkt bei 60 Prozent.

Langsam aber stetig füllte sich am Sonntagabend denn auch der Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament. Offensichtlich wartete man die erste Stellungnahme von Ministerpräsident Alexis Tsipras ab, bevor die Feiern großflächig beginnen konnten. Hunderte Fahnenverkäufer hatten sich am Platz aufgebaut, eine linke Splittergruppe versorgte in der Zwischenzeit hunderte internationale Kamerateams mit Bildern von feiernden Nein-Sagern und markigen Sprüchen gegen „deutsche Besatzungsmächte“ und „korrupte griechische Journalisten.“



Die Spitzenpolitiker von Syriza und Anel nahmen in den Fernsehstudios Platz und brachten ihre Zufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass der „Terror“ von Außen und die „Dämonisierung“ von Syriza das Volk nicht einschüchtern konnten. Als Wendepunkt für den Wahlausgang galt die große Wahlkundgebung von Tsipras am Freitagabend am Syntagma-Platz. Dabei versicherte er den Zuhörern, dass bei einem Nein keine Gefahr bestehe, aus der Eurozone auszuscheiden. Tatsächlich aber dürfte ein „Grexit“ zumindest näher gerückt sein: die Opposition und die Gläubiger hatten bereits im Vorfeld genau davor gewarnt.

Die griechische Regierung hatte also ihre Bürger aufgerufen, die Spar- und Reformvorschläge der Gläubiger abzulehnen. Umfragen zufolge war mit einem denkbar knappen Ergebnis zu rechnen, zumal die Bürger an ihren Grenzen angelangt waren. Viele Bankomaten, die aufgrund der am Montag eingeführten Kapitalkontrollen nur noch 60 Euro pro Tag ausspucken dürfen, verfügten in den meisten Fällen nur noch über 50-Euro-Scheine. Am Sonntag war die Stimmung dementsprechend aufgeladen. So wurde der Chef der linksliberalen Partei Potami, Stavros Theodorakis, beim Betreten des Wahllokals beschimpft. Die Anhänger eines Nein zu den Gläubigervorschlägen riefen vor laufenden Kameras, er soll verschwinden, es handle sich hier um eine griechische Schule, die „deutsche“ sei anderswo. Theodorakis hingegen gab der Überzeugung Ausdruck, dass sich die Bürger vom Klima der Polarisierung, das die Volksabstimmung verursacht habe, nicht beeinflussen lassen würden. Auf der anderen Seite wurde Finanzminister Yanis Varoufakis von einem aufgebrachten Bürger gefragt, ob die Schlangen vor den Bankomaten das „schlichte Leben“ verkörperten, von dem er bei seinem Amtsantritt gesprochen hatte.

"Angst und Erpressung"


Abgesehen von verbalen Angriffen verlief der Tag des Referendums friedlich und ohne größere Probleme. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die Urnengänge der Politiker – allen voran die Stimmabgabe von Ministerpräsident Alexis Tsipras vom Radikalen Linksbündnis Syriza in seinem Wohnviertel im Athener Zentrum. Wie bei den Parlamentswahlen vom 25. Jänner 2015 war das enge Gassenwerk von Kypseli zu eng für die Masse von Journalisten, das Gedränge gar lebensgefährlich. Tsipras erklärte, der Wille von Regierungen könnte ignoriert werden, nicht aber der Wille des Volkes. Die Griechen würden ein Zeichen für Europa setzen, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen könnten – unbeeinflusst von „Angst und Erpressung“. Der Ministerpräsident ist der zentrale Bezugspunkt der Befürworter des Nein, sekundiert von seinem rechtspopulistischen Koalitionspartner, den Unabhängigen Griechen, aber auch von der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte, der dritten im Parlament vertretenen Partei, die ebenfalls für ein Nein eintrat. Das Ja-Lager hingegen war ohne zentrale Führungsfigur. So hielt etwa Antonis Samaras, Chef der Konservativen, bei der großen Abschlussveranstaltung des Pro-Ja-Lagers am Freitag im Athener Zentrum keine Rede.

Merkel trifft Hollande in Paris

Forum

Neben den Konservativen und dem linken Zentrum, verkörpert von Potami und der sozialistischen Pasok, waren die Bürgermeister von Athen und Thessaloniki – als Vertreter der Selbstverwaltung – zentrale Befürworter des Ja. Aber auch der griechische Gewerkschaftsbund und die orthodoxe Kirche haben Empfehlungen für ein Ja abgegeben.

Vor dem Referendum gab es starke Zweifel, ob es überhaupt legal und technisch durchführbar sei. Das Innenministerium hat die Abstimmung aber nach allgemeinem Eindruck offensichtlich rechtzeitig organisieren können. Die Athener Rechtsanwaltsvereinigung erhob unterdessen in einer schriftlichen Stellungnahme schwere Bedenken gegen die Legalität des Referendums. In der Stellungnahme heißt es, dass die Zeit für ein sinnvolles Meinungsbild viel zu kurz war. Zudem sei auch die Form der Stimmzettel problematisch – wie auch die Fragestellung zu einem Dokument, das weder von einer zuständigen Stelle beglaubigt noch zum Zeitpunkt der Abstimmung gültig war.
Auf den Referendums-Zetteln stand: „Soll der Vorschlag, der von der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds in der Euro-Gruppe vom 25. Juni unterbreitet wurde (...) akzeptiert werden?“ Dabei ist das zweite Hilfspaket am 30. Juni ausgelaufen. Tags darauf geriet Griechenland in Zahlungsverzug beim Internationalen Währungsfonds, weil es eine fällige Kreditrate über 1,5 Mrd. Euro nicht überwiesen hatte.

Bereits am heutigen Montag wird die deutsche Bundeskanzlerin nach Paris reisen, um mit Präsident François Hollande über das griechische Ergebnis zu beraten (siehe auch den unten stehenden Fahrplan). Auch die Räte der Europäischen Zentralbank werden am Montag aller Voraussicht nach eine Telefonkonferenz durchführen. Dabei soll es um Notkredite für griechische Banken gehen.
Und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat eine Dringlichkeitssitzung anberaumt, die Kommission für wirtschaftliche Angelegenheiten soll sich am Montag treffen. Gleichzeitig hat das griechische Ergebnis des Referendums den Euro in Fernost deutlich gedrückt: die Währung fiel um rund 1,4 Prozent auf 1,0955 Dollar.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2015)

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