Top-Banker Kostin: „Ich schwöre, Putin ruft nicht an“

Day Two Of The Saint Petersburg International Economic Forum 2015
Day Two Of The Saint Petersburg International Economic Forum 2015(c) Bloomberg (Chris Ratcliffe)
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Russlands zweitgrößte Bank, VTB, gilt als Vehikel des Kreml. Warum Staatseinfluss bei Banken alternativlos, Europa unersetzlich und Sanktionen nutzlos sind, erklärt VTB-Chef Andrej Kostin im Interview.

Die Presse: Wie viele Ihrer Kunden in Deutschland oder Österreich wissen überhaupt, dass VTB eine russische Bank ist?

Andrej Kostin: Den meisten dürfte es egal sein. Und wenn sie sich darüber Gedanken machen, finden sie es hoffentlich eher positiv als negativ. Ohnehin ist unser Geschäft hier überschaubar.

Aber die politischen Spannungen dürften dennoch Ihr europäisches Geschäft belasten.

Ich bin in ständigem Kontakt mit meinen Kollegen in Deutschland, Italien oder Amerika. Die Spannungen spielen eher politisch und medial eine Rolle, nicht in den Geschäftsbeziehungen. Sogar viele US-Banker teilen unsere Meinung, dass die Sanktionen gegen Russland abgeschafft werden sollten.

Es überrascht nicht, wenn Banker Sanktionen kritisieren, die ihr Geschäft behindern.

Aber diese Sanktionen sind nutzlos. Sie werden Russland nie zwingen, zu tun, was der Westen für richtig hält. Die Sanktionen schaffen nur schlechte Atmosphäre.

Wie auch immer: In Russland herrscht Wirtschaftskrise. Ist der Tiefpunkt der Rezession bereits überstanden, oder kommt das Schlimmste erst noch?

Russland hat sicher noch wirtschaftliche Probleme, aber ich würde nicht mehr von einer Krise sprechen. Unsere Analysten denken, dass das BIP heuer um 3,3Prozent sinkt, 2016 aber um 2,5Prozent steigt. Das ist kein hohes Wachstum, aber eben auch keine lang anhaltende Krise. Die Jahre 2008/2009 waren schwieriger.

Auch für Ihre Bank?

Für uns ist die Situation ähnlich. Damals waren wir aufgrund der Krise vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten, heute aufgrund der Sanktionen. Wir mussten Regierung und Zentralbank um zusätzliches Kapital bitten. Außerdem belasten die hohen Leitzinsen. So haben wir voriges Jahr keinen Gewinn gemacht, und für heuer erwarten wir Ähnliches.

Mit Verlusten rechnen Sie nicht, obwohl die Rezession zu weitaus mehr Kreditausfällen führt?

Die Kreditausfälle haben zu Beginn des Jahres stark zugenommen, aber diese Entwicklung ist gestoppt. Wir rechnen nicht damit, dass der Anteil notleidender Kredite sechs Prozent übersteigen wird. Die Regierung hat einzelne Wirtschaftssektoren gestützt. Außerdem hat sich Russland inzwischen ein Stück weit auf die Sanktionen eingestellt und Importe durch eigene Produktion ersetzt.

Die Regierung musste auch andere Banken stützen. So verstärkt sich die Dominanz des Staates in der Finanzindustrie.

Was war denn die Alternative? Da steckt keine Ideologie und keine besondere Strategie der Regierung dahinter. Wir haben schlicht keine anderen Kapitalquellen.

Ist es nicht dennoch eine Belastung, wenn Sie im Westen umso stärker als politisch beeinflusste Bank wahrgenommen werden?

Worin soll sich eine angebliche Politisierung unserer Bank denn zeigen? Wir handeln nicht anders als eine reine Geschäftsbank. Ich schwöre, dass Herr Putin oder Herr Medwedew nicht bei mir anrufen und mir sagen, wem ich einen Kredit geben soll und wem nicht. Sicher ist mit Staatsunterstützung die Erwartung verbunden, dass wir nicht übermäßig streng gegen Kreditnehmer vorgehen und die sozialen Folgen unserer Strategie berücksichtigen. Das ist sozusagen die Übereinkunft.

Würden Sie sich weniger Staatsanteil an Ihrer Bank wünschen als die jetzigen 60 Prozent?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Sowohl unsere privaten Aktionäre als auch die Ratingagenturen sehen den Staatsanteil durchaus als Vorteil, weil das mehr Stabilität garantiert. Aber langfristig muss das Ziel eine vollständige Privatisierung sein.

Viele kleinere Banken in Russland mussten zuletzt schließen. Wird sich das fortsetzen?

Ich rechne fest damit. Russland hat schlicht zu viele Banken. Es gibt rund 800. In fünf Jahren könnten es 500 weniger sein, ein nachhaltiges Niveau läge bei 100.

Was Ihnen als großem Spieler entgegenkäme, zumal der Heimatmarkt für Sie wichtiger wird.

Sicher ist der Beitrag des internationalen Geschäfts aufgrund der Sanktionen gesunken. Aber außer in Europa haben wir Aktivitäten in Asien – dieses Geschäft versuchen wir zu entwickeln. Auch Länder wie Kasachstan oder Weißrussland sind interessant.

Europäische Märkte interessieren Sie dagegen weniger?

Wir sind auch weiter an Europa interessiert, aber dort sind viele Märkte hart umkämpft. Daher denken wir darüber nach, die Aktivitäten in einzelnen Ländern zurückzufahren. Etwa in Frankreich.

Befürchten Sie eine schleichende Isolation des russischen Bankenmarktes, weil sich westliche Banken zurückziehen könnten?

Bislang beobachten wir einen solchen Rückzug nicht. Institute wie Citi oder Raiffeisen International sind unverändert aktiv. Auch alle großen chinesischen Banken sind vertreten. Bei uns bekommt man wesentlich leichter eine Lizenz als etwa in China.

Inwiefern kann China Europa als Partner Russlands ersetzen?

Asien wird nicht Europa ersetzen. Aber natürlich hat China eine große Bedeutung, immerhin ist es die zweitgrößte Volkswirtschaft. Und die Chinesen verknüpfen Wirtschaftsbeziehungen nicht mit politischen Fragen. Aber wir glauben daran, dass wir die Beziehungen zu Europa normalisieren können. Die Russen mögen Europa.

PERSON UND UNTERNEHMEN

Andrej Kostin (58) steht der VTB-Bank seit 2002 vor und führte wiederholt das Ranking der bestbezahlten russischen Manger an. Kostin stand früher im diplomatischen Dienst.
VTB ist Russlands zweitgrößte Bank, der Staat hält an ihr 60,9 Prozent. Zentrum der Europa-Aktivitäten ist Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2015)

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