Tsipras: War es Taktik oder Verrat?

Greece´s Prime Minister Alexis Tsipras Attends Parliament After Bowing To Creditors´ Demands
Greece´s Prime Minister Alexis Tsipras Attends Parliament After Bowing To Creditors´ Demands(c) Bloomberg (Kostas Tsironis)
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Ministerpräsident Tsipras musste seine Liste an die Gläubiger innenpolitisch verteidigen. Hat er die Volksabstimmung nur zur Stärkung der eigenen Position genutzt?

Athen. Während sich im Laufe des Freitags in Europas Hauptstädten nicht wenige vor Verwunderung die Augen rieben über die plötzliche Klarheit und Professionalität der griechischen Vorstellungen von einem dritten Hilfsprogramm in Höhe von 53,3 Mrd. Euro und den dafür eingereichten Gegenleistungen, erklärte Griechenlands Ministerpräsident, Alexis Tsipras, vor einer vielleicht noch kritischeren Hörerschaft – den Parteiorganen seines Radikalen Linksbündnisses Syriza –, was er sich bei der Formulierung dieses Programms gedacht hatte. „Wir haben beim Referendum den Auftrag erhalten, eine bessere Vereinbarung abzuschließen, wir haben keinen Auftrag erhalten, Griechenland aus der Eurozone herauszuführen“, sagte er Freitagmorgen vor der Parlamentsfraktion und dem Politischen Sekretariat von Syriza.

Unabhängig davon, ob der neue Schmeichelkurs bei den Gläubigern Gegenliebe finden wird – durch das Angebot hat Tsipras zumindest bewiesen, dass er tatsächlich Europäer und kein versteckter Vertreter der Drachme ist. Während er mit seinem waghalsigen Referendum den Verbleib Griechenlands im Kern des alten Kontinents aufs Spiel setzte, schwenkte er nun entschlossen auf Europakurs ein. Auf der Strecke geblieben ist dabei nicht nur der linke Rand in seiner Partei. Übrig geblieben sind auch die Pensionisten im Land, die nun nicht nur ihre Würde in den Schlangen vor den Bankfilialen, sondern auch eine Menge Geld verloren haben. Denn die Vorschläge bringen direkte und indirekte Kürzungen für sie mit sich. Schon am Vormittag gab es Proteste von Pensionisten vor dem griechischen Finanzministerium, Freitagabend dann eine erste Demonstration von linken Neinsagern im Athener Stadtzentrum.

Für Verwunderung sorgte auch die Tatsache, dass der Gesetzesentwurf, der die Vorschläge enthält, nicht von Verteidigungsminister Panos Kammenos und Industrieminister Panagiotis Lafazanis unterzeichnet wurde. Kammenos ist der Chef der Unabhängigen Griechen (Anel), des Koalitionspartners von Syriza, Lafazanis als Anführer der innerparteilichen Opposition ein Verfechter der streng linken Parteilinie. Beide müssten schmerzhafte Abstriche von ihren Positionen machen, würden sie dem Paket zustimmen. Tsipras versucht aber offensichtlich, sie im Boot zu halten, nicht umsonst sagte er vor der Fraktion, dass „wir alle gemeinsam weitermachen, oder alle gemeinsam gehen“. Tatsächlich enthält der Antrag Geschenke an die beiden Politiker. Das Militärbudget soll nicht um 400 Millionen Euro gekürzt werden, wie von den Gläubigern gefordert, sondern nur um 300 Millionen, ein weiteres Entgegenkommen an Kammenos ist die teilweise Beibehaltung des gekürzten Mehrwertsteuersatzes für Inseln. Lafazanis müsste zwar die weitreichenden Privatisierungen in seinem Ressort akzeptieren, nicht zuletzt um deutschen Firmen Geschenke zu machen. Doch in zwei Punkten kam Tsipras seinem Kritiker entgegen: Die Vorschläge zum Arbeitsmarkt sind höchst verschwommen und lassen kaum Willen zu Reformen erkennen – und Griechenland will über ein alternatives Modell bei der Privatisierung der Stromgesellschaft und dem Stromoperator diskutieren.

Damals keine Parlamentsmehrheit

Dass einige Vorschläge im griechischen Programm weniger mit den Gläubigern als mit der eigenen Fraktion zu tun haben, darauf weist auch eine Äußerung von Finanzminister Efklidis Tsakalotos hin, die er noch vor dem Referendum am vergangenen Sonntag machte. Premier Tsipras hätte, so sagte er, die Forderungen der Gläubiger „nicht durch das Parlament gebracht“. Das freilich lässt eine neue Lesart für die Frage zu, warum die kurzfristige Volksabstimmung überhaupt angesetzt wurde. Sicherlich war Tsipras in der Woche vor Abbruch der Gespräche nach einem eigenen, weitreichenden Vorschlag enttäuscht von der Strenge der Gläubiger. Möglicherweise wollte er ihnen zeigen, dass man mit ihm nicht beliebig umspringen kann. Dazu kommt nun im Rückblick die Vermutung, dass er das Referendum auch angesetzt hat, um seine innerparteiliche Position wieder zu stärken.

Die griechischen Oppositionsparteien jedenfalls werden momentan vollständig von Tsipras in Schach gehalten. Sowohl die sozialistische Pasok als auch die konservative Nea Dimokratia mussten ihre Parteichefs, Evangelos Venizelos und Antonis Samaras, auswechseln. Und nachdem Tsipras bei seinem Referendum mit 61 Prozent der Stimmen bewiesen hatte, dass seine Regierung keine „linke Episode“ ist, setzte er den seit fünf Jahren überfälligen Schritt einer Konferenz der Parteichefs, um eine gemeinsame nationale Linie zu finden. Alle außer den Rechtsradikalen und den Kommunisten stiegen darauf ein. Erwartet wurde, dass sie alle im Parlament für das neue Sparpaket stimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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