Verhaltensökonom: "Gesetze allein ändern das Verhalten nicht"

POLITIK Pro Euro Demostration in Athen 150630 ATHENS June 30 2015 Thousands of Greeks take
POLITIK Pro Euro Demostration in Athen 150630 ATHENS June 30 2015 Thousands of Greeks takeimago/Xinhua
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Verhaltensökonom Matthias Sutter soll die Österreicher mit kleinen "Schubsern" dazu bringen, Steuern zu zahlen und Energie zu sparen. Er erklärt, warum die Bürger trotzdem frei bleiben.

Vergangene Woche haben die Griechen gegen Reformen gestimmt, jetzt gibt es Demonstrationen dafür. Wie erklärt sich ein Verhaltensökonom diesen Zickzackkurs?

Matthias Sutter: Griechenland ist so komplex, dass ich nur wenig dazu sagen kann. Klar ist, dass Premier Tsipras das Referendum wollte, um seine Verhandlungsposition gegenüber der EU zu stärken. Man darf nicht vergessen, dass er die Griechen über ein Reformpaket abstimmen hat lassen, das gar nicht mehr gültig war.

Wie konnte es zu diesem Schuldendesaster kommen? Warum hat Griechenland etwa größere Probleme als andere Staaten, Bürger zu motivieren, ihre Steuern zu zahlen?

Wir wissen aus der Steuerforschung, dass es hier vor allem um soziale Normen geht. Wenn ich glaube, dass mein Nachbar die Steuern nicht bezahlt, bezahle ich sie auch nicht. Das kann schnell kippen. In Großbritannien hat die Regierung Briefe verschickt, in denen stand: Neun von zehn Ihrer Nachbarn bezahlen ihre Steuern. Wollen Sie der eine sein, der nicht bezahlt? Dieser Appell, nicht einer Minderheit anzugehören, hat die Steuerehrlichkeit spürbar erhöht. Hier ist also die soziale Norm, dass man bezahlt. In Griechenland scheint ein anderer Konsens zu bestehen. Solche Briefe helfen wenig, wenn darin steht: Zwei von zehn Ihrer Nachbarn bezahlen ihre Steuern. Wollen Sie einer von den acht sein, die nicht bezahlen? Wenn die Steuermoral schon so niedrig ist, dann kommt man schnell in einen Teufelskreis. Griechenland muss hier die sozialen Normen ändern. Und anfangen muss es ganz oben. Es kann natürlich nicht sein, dass ein Finanzminister nachträglich Verwandte von der Steuersünderliste streicht.

Sie sollen im Auftrag der Regierung die Österreicher mit kleinen Schubsern (Nudges) in die „richtige“ Richtung lenken. Freuen Sie sich, uns zu besseren Bürgern zu machen?

Da muss man vorsichtig sein. Wenn man Politik für die Menschen machen will, ist es nun einmal hilfreich zu verstehen, wie Menschen Entscheidungen treffen. Deshalb engagiert die Regierung Psychologen und Verhaltensökonomen wie mich.

Wie soll es funktionieren?

Nehmen wir das Beispiel Energieeffizienz. Hier könnte man sich entschließen, Stromrechnungen mit einem Smiley zu versehen, wenn man weniger Energie verbraucht hat als die Leute in der Umgebung. Große US-Studien zeigen, dass Menschen dadurch animiert werden, zwei bis drei Prozent Energie zu sparen.

Der Staat lobt uns also, wenn wir etwas richtig machen?

In gewissem Sinne. Wer mit Energie sparsamer umgeht, wird belohnt. Nicht nur finanziell, sondern auch mit dem Smiley. Und da sich Menschen gern vergleichen, kann dies sozial erwünschtes Verhalten fördern. Es geht nicht darum, „bessere Menschen“ zu schaffen, sondern um eine kleine Erinnerung, dass man das Licht auch abschalten kann, wenn man das Haus verlässt.

Die sinkende Stromrechnung reicht nicht als Argument? Ist Lob wichtiger als Geld?

Das möchte ich ungern vergleichen. Natürlich können wir das Problem lösen, indem wir die Kilowattstunde zehnmal teurer machen. Aber genau das wollen wir ja vermeiden. Wir können nicht ständig alles teurer machen. Deshalb sollen kleine Anreize helfen, Einsparungen zu erzielen. Studien zeigen auch, dass die Menschen dadurch nicht gleich grün leben. Aber das, was leicht geht, machen sie.

Viele Regierungen setzen auf die Schubser der Verhaltensökonomen, um Bürger zu lenken. Warum bildet sich der Staat eigentlich ein, besser zu wissen, was gut für mich ist?

Das ist ein wichtiger Punkt. Jeder Mensch muss selbst wissen, was das Beste für ihn ist. Jeder ist frei in seiner Entscheidung. Der Staat kann nur Orientierung bieten und entscheiden, was er für sinnvoll erachtet. Wenn es aber darum geht, Energieeffizienz, Steuerehrlichkeit oder Durchimpfungsraten zu erhöhen, ist das meist auch im Sinne des Einzelnen.

Und dafür werden Bürger manipuliert?

Es gibt keine Entscheidungssituation, die neutral ist. Die Rahmenbedingungen spielen immer eine Rolle. Ein Beispiel: Wenn der Staat befindet, dass in Kantinen Salate vorn stehen sollen, kommt der Aufschrei. Dabei entscheiden umgekehrt eben andere, dass die Süßigkeiten vorn stehen. Irgendwie wird unsere Wahl also immer beeinflusst. Entscheidend ist, dass jeder Mensch weiterhin tun kann, was er will. Es soll niemand zu etwas gezwungen werden. Es sollen allerdings die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Menschen leichter im eigenen Interesse handeln. Aber wer nicht verändert werden will, muss sich nicht verändern.

Wenn alles so gut ist, warum entscheiden wir uns nicht automatisch „richtig“?

Der Mensch ist weder ständig rational noch ständig irrational. Aber er ist träge. Jeder kennt bestimmte Verhaltensroutinen, die er nicht täglich hinterfragt. Ein Smiley auf der Stromrechnung könnte mich einfach daran erinnern, meine Routinen zu überdenken. Oder wenn ich Steuerformulare zu Beginn unterschreiben muss statt am Ende, werde ich erinnert, dass es jetzt darum geht, ehrlich zu sein. Sonst ist der Schaden oft schon passiert. Das ist keine Korrektur von Verhalten und keine Bevormundung.

Warum dringen Regierungen heute nicht mehr so einfach zu den Bürgern durch wie früher?

Meine persönliche Wahrnehmung ist, dass der Staat früher ein größeres Ansehen hatte. Heute wollen viele Bürger nur noch in Ruhe gelassen werden. Die Regierungen wollen zwar weiter gestalten, aber niemandem mehr lästig sein. Das ist in meinen Augen an sich ein gutes Ziel – und auch wirkungsvoll. Denn Gesetze allein verändern das Verhalten der Bürger nicht mehr unbedingt.

Wie gut wissen Verhaltensökonomen denn, was Menschen treibt? Ihre Kollegen haben im Experiment gezeigt, dass Menschen, die im Biomarkt einkaufen, danach unehrlicher waren als konventionelle Käufer. Viele Bio-Fans fühlten sich in ihrer Ehre verletzt.

Es gibt Studien, die zeigen, dass man sich im Recht fühlt, nach einer „guten Tat“ das nächste Mal etwas weniger moralisch zu handeln. Auch wenn wir jetzt zehn Kilometer joggen gehen, essen wir danach vermutlich weit mehr als sonst. Frei nach dem Motto: Ich habe schon etwas für meine Gesundheit getan, ich kann mir das leisten. Natürlich trifft das nicht auf jeden einzelnen Menschen zu. Aber die Verhaltensökonomie versucht, das Verhalten des Menschen empirisch besser verständlich zu machen – und daraus Vorschläge für die Politik zu entwickeln.

Sie unterstellen natürlich, dass alle oder sehr viele Menschen gleich ticken. Was macht Sie so sicher, dass Nudging wirkt?

Entscheidend ist, jede Maßnahme ausreichend zu testen und zu evaluieren, bevor man sie groß ausrollt. Nicht alle Projekte werden die gewünschten Effekte haben. Am liebsten wüssten wir genau, wie man den Sutter dazu bringt, sich gesünder zu ernähren, und wie man den Auer dazu bringt. Dann könnten wir zielgenauer auf sie zugehen. Die Versicherungen machen das teilweise schon. Die Daten sind irgendwann da und sollten – Datenschutz vorausgesetzt – auch genutzt werden.

Was würden Sie nicht nudgen?

Man kann und soll nicht alles nudgen. Nudging ist eine Idee, wie man mit wenig Aufwand sehr viel weiterbringen kann. Aber das gilt natürlich nicht für alle Lebensbereiche. In manchen Bereichen ist es einfach sinnvoller, ein Gesetz zu erlassen, wenn man etwas ändern will. In anderen sind andere Anreize besser – und billiger.

Welcher subtile Schubser war für Sie bisher nützlich?

Ich habe ursprünglich Theologie studiert und wollte dann im Fach Gesellschaftslehre und Sozialethik promovieren. Mein gewünschter Doktorvater, ein Jesuit, war auch Volkswirt und hat mich gefragt, was ich von Wirtschaft verstehe. Ich sagte: „Nichts.“ Da hat er mich weggeschickt mit den Worten: „Frömmelnde Theologen kann ich hier nicht brauchen. Kommen Sie wieder, wenn Sie etwas von Wirtschaft verstehen.“ Also bin ich Wirtschaft studieren gegangen – und nie wieder in die Theologie zurück.

Nudging

Der sanfte Schubs durchs Leben
„Nudge“ bedeutet so viel wie „leichter Schubs“. Gemeint sind die vielen kleinen Anreize, die uns durchs Leben treiben: die kauflustfördernde Anordnung der Waren im Supermarkt, die Fliege im Urinal, die die Treffsicherheit erhöht. Nach den USA, Großbritannien und Deutschland beginnt auch Österreich damit, die Bürger auf den rechten Weg zu „schubsen“.

Steckbrief

Matthias Sutter (46) ist ein österreichischer Verhaltensökonom. Bevor er sich der experimentellen Erforschung des menschlichen Verhaltens gewidmet hat, studierte Sutter Theologie. Heute lehrt er an den Universitäten Köln und Innsbruck.

„Motivierender Staat“Neben dem Psychologen Erich Kirchler und den Ökonomen Martin Kocher und Ernst Fehr ist Sutter einer der Schirmherren des Nudging-Projekts „Motivierender Staat“ der Regierung. Privat

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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