Athens Probleme sind noch größer als gedacht

Greek Finance Minister Tsakalotos and IMF Managing Director Lagarde attend an euro zone finance ministers meeting in Brussels
Greek Finance Minister Tsakalotos and IMF Managing Director Lagarde attend an euro zone finance ministers meeting in Brussels(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Laut einer Schuldenanalyse des Internationalen Währungsfonds braucht Griechenland nicht nur frisches Geld, sondern auch Maßnahmen, um die bereits angesammelte Verschuldung zu reduzieren.

Dass es noch ein harter Weg sein wird, die Einigung zwischen Griechenland und den anderen Euroländern umzusetzen, war von Anfang an klar. So sorgt die Frage der Brückenfinanzierung nach wie vor für Diskussionen unter den Gläubigern. Und gestern, Mittwoch, Abend demonstrierten Reformgegner in Athen erneut gegen das Sparpaket, über das das Parlament in der Nacht abstimmen wollte. Vor dem Parlament kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Just in diese Stimmung platzte der Internationale Währungsfonds (IWF) in der Nacht auf Mittwoch mit der Präsentation einer aktualisierten Schuldenanalyse des Landes. Und die Ergebnisse verheißen nichts Gutes. So ist nicht nur der Finanzbedarf wie bereits erwartet auf 85 Milliarden Euro gestiegen. „Die griechische Verschuldung kann nur dann nachhaltig unter Kontrolle gebracht werden, wenn es Maßnahmen gibt, die weit über das hinausgehen, was Europa bisher bereit war anzudenken“, so der IWF. Was sind die Probleme und welche Lösungen könnte es geben? „Die Presse“ hat die Antworten:

1. Wie sieht die aktuelle Situation der griechischen Staatsfinanzen laut IWF aus?

Noch vor einem Jahr ging der IWF davon aus, dass die Verschuldung Griechenlands 2014 mit 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ihren Höhepunkt erreicht habe und bis 2022 substanziell unter dem Wert von 110 Prozent liegen werde. Diese Annahme sei nun aber nicht mehr zu halten. Vielmehr werde die Verschuldung in den kommenden zwei Jahren weiter ansteigen und rund um das Jahr 2018 mit 200 Prozent ihren Höhepunkt erreichen.

Bis zum Jahr 2022 werde sich dieser Wert auch bei Umsetzung aller Reformen nur auf 170 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung absenken lassen. Die Verschuldung Griechenlands sei damit „absolut untragbar“. Noch vor zwei Wochen hat der IWF für das Jahr 2022 mit einem Absinken der Schuldenquote auf 142 Prozent gerechnet, doch die jüngsten Ereignisse hätten die griechische Wirtschaft erneut weit nach hinten geworfen.

2. Warum hat sich die Situation so stark verschlechtert? Wer ist schuld daran?

In seinem Papier attestiert der IWF „signifikante Änderungen in der griechischen Politik seit dem Jahresanfang, die zu einem substanziellen Anstieg des Finanzierungsbedarfs führten“. Mit anderen Worten: Die Rücknahme von Reformgesetzen durch die linkspopulistische Syriza-Regierung und die Weigerung, den vor einigen Jahren eingeschlagenen Kurs des Landes weiterzuführen, brachten dem Land die neuen Probleme. Allein die jüngste Eskalation samt Schließung der Banken habe für ebendiesen Bankensektor einen zusätzlichen Finanzbedarf von 25 Milliarden Euro verursacht, so der IWF. Daher seien bisherige Annahmen auf keinen Fall mehr zu halten. Etwa jene, wonach Griechenland in den kommenden Dekaden (!) einen Primärüberschuss (Budget ohne Zinszahlungen) von 3,5 Prozent erzielen werde. „Nur wenige Länder haben das geschafft“, so der IWF. Das Gleiche gilt für die Annahme, dass der Produktivitätszuwachs in Griechenland in den kommenden Jahren der höchste in der ganzen Eurozone sein werde. Um dies zu erreichen, müssten in vielen Schlüsselbereichen „ehrgeizige und unerschütterliche“ Reformen umgesetzt werden. Und auch beim Thema Privatisierung ist der IWF deutlich pessimistischer. Er geht von maximal 500 Millionen Euro pro Jahr aus. Das nun vereinbarte 50-Milliarden-Euro-Ziel würde so erst in 100 Jahren erreicht werden.

3. Welche Möglichkeiten gibt es für die Eurozone nun, dieses Problem zu lösen?

Das Kernproblem ist laut IWF, dass eine Rückkehr Griechenlands auf die privaten Anleihenmärkte mit den entsprechend höheren Zinssätzen erst dann möglich ist, wenn die Schuldenquote deutlich gesunken ist. Sonst würde das Land auch in weiterer Zukunft sofort von den Zinszahlungen erdrückt werden. Für die Gläubiger gibt es daher nur drei Möglichkeiten. Entweder diesen Zeitpunkt so weit wie möglich nach hinten zu schieben, etwa indem die Hilfskredite um 30 Jahre gestundet werden (derzeit läuft die Stundung bis in die frühen 2020er-Jahre). Oder es gibt jährliche Transferzahlungen nach Athen beziehungsweise einen Schuldenschnitt.

4. Wie sehen die Reaktionen der anderen Euroländer aus? Was wird passieren?

In Deutschland erklärte man, dass die Analysen des IWF sehr ernst genommen würden. Und auch der französische Finanzminister, Michel Sapin, erklärte in einer ersten Reaktion, dass er die Situation gleich wie der IWF sehe. Einen Schuldenschnitt schloss der Franzose jedoch aus. Dieser wäre in den meisten Ländern politisch wohl auch nicht zu verkaufen. Am wahrscheinlichsten ist daher, dass die Kredite – wie vom IWF vorgeschlagen – auf Jahrzehnte hinaus gestundet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2015)

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