Tsipras gewinnt Votum und verliert Mehrheit

Regierungschef Alexis Tsipras
Regierungschef Alexis TsiprasReuters
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229 griechische Abgeordnete stimmten in der Nacht für die Rentenreform und andere Maßnahmen. Tsipras hatte die Auflagen als alternativlos dargestellt und seine Regierungsmehrheit verloren.

Mit seiner Zustimmung zu einem ersten schmerzhaften Reformpaket hat das griechische Parlament den Weg frei gemacht für Verhandlungen über ein dringend benötigtes drittes Hilfspaket der Euro-Länder. Für die Rentenreform und andere Maßnahmen stimmten in der Nacht zum Donnerstag in Athen 229 Abgeordnete, dagegen 64.

Regierungschef Alexis Tsipras hatte die Auflagen als alternativlos dargestellt, damit aber knapp ein Drittel seiner Fraktion nicht überzeugt. Von den 64 erklärten Gegnern der Reformauflagen gehören 32 Tsipras' Syriza-Partei an. Tsipras verlor damit die eigene Regierungsmehrheit von 162 der 300 Parlamentssitze. Ohne die Unterstützung des Koalitionspartners Anel und der proeuropäischen Oppositionsparteien hätte er die Maßnahmen, zu denen auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und automatische Ausgabenkürzungen gehören, nicht durchs Parlament gebracht.

Eurogruppe diskutiert Brückenfinanzierung

Bereits am Donnerstagvormittag wollen die internationalen Geldgeber über das weitere Vorgehen beraten. Um 10.00 Uhr sei eine Telefonkonferenz angesetzt, teilte der Sprecher von Eurogruppenchef Jeroen Djisselbloem am Mittwochabend über Twitter mit. Derzeit arbeiten die Finanzminister an einer Brückenfinanzierung, damit Griechenland bis zum Inkrafttreten des neuen Hilfspakets seine Schulden bedienen kann.Die Kommission hatte tags zuvor vorgeschlagen, trotz Bedenken einiger Nicht-Euro-Staaten die Lösung über den früheren Rettungsschirm EFSM - an dem alle 28 EU-Länder beteiligt sind - als beste Variante zu präsentieren. 

Gleichzeitig muss die EZB über eine dringend benötigte Erhöhung der ELA-Nothilfen ("Emergency Liquidity Assistance") für die griechischen Banken entscheiden. Experte Dirk Gojny von der National-Bank rechnet mit einer Erhöhung der ELA-Nothilfen, die seit dem Griechen-Referendum auf knapp 90 Mrd. Euro eingefroren sind. Die Erhöhung der Nothilfe durch die EZB dürfte aber "nicht sonderlich hoch ausfallen", sagte Gojny.

Schäuble: "Sind einen Schritt weiter"

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die Zustimmung des griechischen Parlaments als Fortschritt begrüßt. "Wir sind einen Schritt weiter", sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. "Das ist ein wichtiger Schritt." Die Eurogruppe werde nun vermutlich empfehlen, konkrete Verhandlungen über ein ESM-Hilfspaket aufzunehmen.

Noch nicht über dem Berg siegt der Chef des Eurorettungsfonds ESM, Klaus Regling, die angestrebten Verhandlungen. Sollten die Gespräche scheitern, werde "das griechische Bankensystem zusammenbrechen", sagte Regling am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". Die vier größten griechischen Geldhäuser seien "systemrelevante Banken". Wenn diese zusammenbrächen, werde dies "schwerwiegende Auswirkungen nicht nur für Griechenland selbst - dort natürlich katastrophale Auswirkungen -, sondern auch für den Euroraum insgesamt haben".

"Es gibt keine andere Möglichkeit"

Die Zustimmung zu den Reformplänen verweigerten im griechischen Parlament unter anderem Energieminister Panagiotis Lafazanis und Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Auch der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis stimmte mit Nein. Die Zahl der Abweichler in der Syriza-Fraktion lag in etwa so hoch wie erwartet. Einen Stimmungsumschwung hatte Tsipras auch mit seinem eindringlichen Appell vor dem Parlament nicht bewirken können.

"Ich stand vor verschiedenen Möglichkeiten: Eine war es, ein Abkommen zu akzeptieren, mit dem ich in vielen Punkten nicht einverstanden bin, eine andere war ein ungeordneter Zahlungsausfall", erklärte Tsipras den Abgeordneten sein Dilemma. Es gebe "für uns alle keine andere Möglichkeit, als die Last dieser Verantwortung zu teilen". "Wir werden nicht von unserem Versprechen abrücken, bis zum Ende für die Rechte der arbeitenden Menschen zu kämpfen", versprach Tsipras zugleich.

Der neue Finanzminister Euklides Tsakalotos sagte in der Parlamentsdebatte, die Entscheidung für das neue Hilfspaket werde "auf meinem ganzen Leben lasten". "Ich weiß nicht, ob wir das Richtige getan haben. Ich weiß, dass wir etwas getan haben, bei dem wir aus unserer Sicht keine Wahl hatten", bekannte Tsakalotos. Der zweite Teil des Reformprogramms soll bis Mittwoch kommender Woche verabschiedet werden.

Die richtige Nachricht an Europa

Der Chef der griechischen konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, begrüßte die Zustimmung zu den Spar- und Reformgesetze. "Das Parlament hält Griechenland auf Kurs", sagte Meimarakis am frühen Donnerstagmorgen. Dies sei die richtige Nachricht an Europa. Neuwahlen seien für ihn keine Option, sagte Meimarakis. Seine Partei werde auch kein Misstrauensvotum beantragen, obwohl die Regierung ihre Mehrheit bei dieser Abstimmung verloren habe.

Der Anführer des linken Flügels der Syriza-Partei, Energieminister Lafazanis, erklärte, er unterstütze weiter die Regierung trotz der negativen Stimmen bei diesem Votum. "Wir werden gemeinsam weitermachen. Wir stützen die Regierung, sind aber gegen die Sparprogramme", sagte er.

Die Griechen demonstrieren

Die Euro-Länder hatten sich am Montag nach einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon bereit erklärt, das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland mit einem neuen Milliarden-Programm zu unterstützen. Sie knüpften dies aber an umfangreiche Bedingungen. Diese sind weitaus härter als die Gläubiger-Bedingungen, die die Griechen in einem Referendum vor eineinhalb Wochen abgelehnt hatten.

Daran erinnerten auch aufgebrachte Demonstranten vor dem Athener Parlament. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift "Wir haben 'Nein' gesagt, wir haben 'Nein' gemeint" hoch. An der Demonstration beteiligten sich rund 12.000 Menschen. "Er hat uns belogen", schimpfte etwa ein 28-Jähriger über Tsipras. "Wenn er noch ein Fünkchen Ehre hat, muss er zurücktreten."

Am Rande der Protestkundgebung warfen junge vermummte Demonstranten Steine und Brandbomben auf die Polizei. Der Kleinbus eines Fernsehsenders wurde in Brand gesetzt, mehrere Geldautomaten und Schaufenster zerstört. Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein. Nach Angaben aus Polizeikreisen wurden vier Beamte leicht verletzt und etwa 40 Randalierer festgenommen.

Akut von der Pleite bedroht

Griechenland ist akut von der Pleite bedroht, die Banken sind seit zweieinhalb Wochen geschlossen. Der Finanzierungsbedarf des Landes in den kommenden drei Jahren wird mit 82 bis 86 Milliarden Euro beziffert. Davon sollen die Euro-Länder etwa 40 bis 50 Milliarden Euro aufbringen. Es dürfte allerdings noch Wochen dauern, bis das neue Hilfspaket steht, zumal auch einige Parlamente anderer Euro-Länder zustimmen müssen.

Der deutsche Bundestag stimmt am Freitag über die offizielle Aufnahme von Verhandlungen über das Hilfsprogramm ab, es wird mit einer Zustimmung gerechnet. Auch der Nationalrat in Wien soll am Freitag über das Verhandlungsmandat abstimmen.

(APA/AFP/dpa)

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