China will Image des "Kopierkaisers" loswerden

150714 NEW YORK July 14 2015 Lixin Cheng Chairman and CEO of ZTE USA introduces the new A
150714 NEW YORK July 14 2015 Lixin Cheng Chairman and CEO of ZTE USA introduces the new Aimago/Xinhua
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China unternimmt enorme Anstrengungen, das Image des Kopierkaisers loszuwerden. In der Kommunikationsbranche hat Europa bereits die Vormachtstellung verloren, chinesische Konzerne wie ZTE geben den Takt vor.

Das Land war eine der ältesten Hochkulturen der Welt und bescherte der Menschheit mit dem Papier, der Druckkunst, dem Schießpulver und dem Kompass revolutionierende Erfindungen – lang bevor Europa erwachte. Und was kam dann? Kriege, Armut, Kolonialismus, Abschottung und schließlich der Kommunismus. Den gibt es in China zwar noch immer – und damit politische Willkür, überbordende Bürokratie und Korruption. Aber viel ist in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt (fast) nicht mehr so, wie es war.

Als Deng Xiaoping vor 30 Jahren die Marktwirtschaft propagierte, gab er den Anstoß zu einem Wandel, wie ihn kein anderes Land der Welt in diesem Tempo erlebt hat. Wachstum hieß die Devise und China entwickelte sich zur verlängerten Werkbank für den Westen. Die Volksrepublik musste sich als größter Produktfälscher belächeln und von Markenkonzernen bekämpfen lassen, sie wurde als Umweltverschmutzer und Ressourcenvernichter gegeißelt. Peking nahm dies in Kauf, das blinde Wachstum war schließlich der Preis, Millionen Chinesen aus bitterster Armut zu befreien. Wer sich heute in der 22-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai bewegt, kann sich nicht vorstellen, dass dort, wo jetzt das zweithöchste Gebäude der Welt, der Shanghai Tower, das Finanzzentrum krönt, vor 25 Jahren Reisfelder bepflanzt wurden.

Während der Westen angesichts des Börsencrashs und deutlich heruntergeschraubter Konjunkturaussichten in Angststarre verharrt, drehen sich die Uhren weiter. Allerdings geht es um qualitatives Wachstum: Die chinesische Führung hat beschlossen, das Land zu einem der großen Innovationstreiber der Welt zu machen und pumpt Milliarden in Forschung und Entwicklung. Binnen zehn Jahren haben chinesische Konzerne die Ausgaben für F&E von 1,2 auf 30 Mrd. Dollar hochgeschraubt, geht aus einer Studie von Strateby& (ex Booz&Company) hervor.

In einigen Bereichen geben chinesische Konzerne bereits die Schlagzahl vor – das beste Beispiel ist die Kommunikationsbranche. Mit dem Mobilfunkstandard GSM katapultierte sich Europa in den 1990er-Jahren an die Weltspitze, undUnternehmen wie Nokia, Ericsson und Siemens dominierten das Geschäft. Diese Vorrangstellung hat der alte Kontinent längst verloren. Zwar wurden die Nachfolgesysteme GPRS und LTE noch in Europa entwickelt, aber die drei haben sich selbst zertrümmert oder vom Handygeschäft verabschiedet.

Hälfte der Handys kommt aus China. Konzerne wie ZTE und Huawei, aber auch der Aufsteiger Xiaomi, setzen den Branchengrößen Apple und Samsung zu, die noch mit Abstand die Top-Ten-Liste der Handyproduzenten dominieren. Aber die Hälfte der weltweit verkauften Handys kommt bereits aus der Volksrepublik. Auf dem Mobile World Congress in Shanghai, dem – noch kleineren – asiatischen Pendant zur Messe in Barcelona, war diese Woche die Goldgräberstimmung deutlich zu spüren. Firmen, deren Namen in Europa völlig unbekannt sind, präsentierten ihre neuesten Smartphones – auf den ersten flüchtigen Blick von Apples Ikone iPhone kaum zu unterscheiden.

Nicht weniger als 155 Smartphone-Produzenten gibt es im Land. Sie kämpfen mit günstigen Modellen bis aufs Messer um ein Fünftel des chinesischen Marktes, denn der Rest ist fest in Händen der zehn großen Spieler (mit Samsung und Apple an der Spitze). „Es ist nicht leicht, mit Handys pleitezugehen, aber es ist auch nicht leicht, damit profitabel zu sein“, sagt Gartner-Analyst CK Lu. Auch in China ist der Markt bereits gesättigt. Nur wenige Firmen werden überleben, zumal die Newcomer wegen drohender Patentklagen auch kaum Chancen haben, ins Ausland zu expandieren.

ZTE gehört mit Huawei zu jenen Konzernen, die nicht nur überleben, sondern in der ersten Liga mitspielen dürften. Han Ling, Vizepräsident von ZTE, macht klar, wohin die Reise geht: „Im Zeitalter von mobilem Internet besteht ein beispielloser Vernetzungsbedarf – hohe Datenraten, gute Qualität und niedrige Preise werden zu einem Grundbedürfnis, der Datenverkehr wird ein Konsumgut wie Wasser und Strom.“ Dafür entwickle ZTE die entsprechende Netzinfrastruktur und die Endgeräte. Das neueste High-End-Modell Axom kann es mit der Konkurrenz aus Südkorea und den USA jedenfalls locker aufnehmen. Solche Flagship-Modelle brächten mehr Profit, der wiederum in Innovationen investiert wird. Schon 2014 wurde der Reingewinn nahezu verdoppelt.

Ein Blick in eine der „Hexenküchen“ von ZTE, in Österreich Netzwerk-Partner der Telekom Austria und von 3, zeigt, wie ernst es der in Shanghai und Shenzhen notierte Konzern mit dieser Ansage meint. Im F&E-Zentrum in Shanghai, einem von 18 Zentren weltweit, arbeiten 5000 Wissenschaftler, Techniker und Designer an neuen Ideen. Eine ganze Wand ist gespickt mit Patenten – eine eindrucksvolle Demonstration der Innovationskraft: Gut zehn Prozent des Umsatzes, der im Vorjahr um acht Prozent auf 81,24 Milliarden Renminbi (1,21 Milliarden Euro) gewachsen ist, fließen laut ZTE in F&E. 60.000 Patente hatte der Konzern bis Ende 2014 angemeldet, 17.000 wurden ihm zugesprochen. Damit liegt ZTE im Ranking der 1000 forschungsstärksten Unternehmen von Strategy& auf Platz 117.

Die Zukunft hat hier nicht nur begonnen, sie wird schon durchgespielt. So hat ZTE als erster Konzern weltweit in Südchina einen Testlauf für die nächste Mobilfunkgeneration 5G gestartet. Derzeit läuft die Standardisierung, um 2020 soll die Sache startklar sein. 5G – das bedeutet Datenraten von 50 Gigabit pro Sekunde. Damit lassen sich 3-D-Filme schnell herunterladen. Aber auch das Internet der Dinge, bei dem Gegenstände untereinander Daten austauschen, wird mit 5G Wirklichkeit. Bis 2020 werden nach diversen Schätzungen 50 bis 100 Milliarden Geräte vernetzt sein.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt betrifft Smart Cities: Yinchuan im Westen des Landes ist so eine Stadt, wo ZTE die schöne neue Welt erprobt. Die neue Technologie soll Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, aber auch grüner und lebenswerter machen. 110 solcher Projekte für eine schöne neue Welt gibt es bereits in China, einige weitere in Frankreich, Rumänien, Russland und der Türkei.

Warum haben die Kurznasen die Nase vorn? „Europa hat nach dem Platzen des Aktienbooms 2001 und erst recht nach der Wirtschaftskrise 2009 Forschungsetats und Arbeitsplätze gekappt und beschäftigt sich seither, getrieben auch von der Griechen-Krise, vor allem mit sich selbst“, analysiert ZTE-Österreich-Chef Alexander Schuster im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. China verfüge allein mit 750 Universitäten über enorme Wissenslieferanten und die vielen Chinesen, die inzwischen im Ausland studieren, brächten ihre Erfahrungen ein.

Als Peking Kommunikation zur Schlüsseltechnologie erklärt hat, habe Europa gelächelt. „Jetzt sind sie drauf und dran, uns zu überholen.“ Geld werde aber nicht mit beiden Händen hinausgeworfen. „Es wird lang geprüft und dann strategisch entschieden.“ Wobei der Staat den Firmen viel Raum lasse. So hätten ZTE und Huawei gezielt die USA als Auslandsmarkt Nummer eins gewählt, weil dort das Potenzial am höchsten eingestuft werde. Welche Konsequenzen sollten wir ziehen? „Wir müssen wieder lernen zuzuhören. Uns fehlt der Mut zu Innovationen, zu Visionen“, sagt Schuster.

Hinweis
Die Autorin wurde von ZTE nach Shanghai eingeladen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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