"China ist eine Hochrisiko-Kultur"

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Bricht nach dem Absturz an Chinas Börsen auch die Realwirtschaft ein - und damit die Weltkonjunktur? Gefährliche Blasen bietet Peking genug: bei Aktien, Beton und Banken.

Peking/Wien. Genau wie 1929! Wie so oft, wenn irgendwo auf der Welt die Kurse rutschen, war auch gestern in China ein Analyst zur Hand, der eine Neuauflage des legendären US-Börsencrashs witterte. Schließlich hat der Composite Index in Shanghai binnen kürzester Zeit ein Drittel an Wert verloren, auch am Dienstag ging es bergab. Der Versuch der kommunistischen Regierung in Peking, Gewinne per Dekret zu verordnen, ist gescheitert (siehe unten). Und der Ausverkauf scheint noch nicht beendet. Denn befeuert von Privatanlegern, die in großem Stil Aktien auf Kredit kauften, kletterte der Leitindex in Shanghai im letzten Jahr stark. Immer noch ist er 60 Prozent im Plus.

Die große Frage ist: Schwappt der Finanzcrash auf andere Länder über? Beschert er Chinas Realwirtschaft die befürchtete „harte Landung“ und zieht damit den Rest der Welt nach unten?

Abgeschottete Börse

Die direkte Ansteckungsgefahr über den Finanzmarkt ist gering. Die chinesische Börse ist immer noch vornehmlich ein Vehikel, um Staatsunternehmen mit Kapital zu versorgen. Ausländer dürfen kaum handeln – was in diesem Fall ein Vorteil ist. Auswirkungen sind also vor allem über die Realwirtschaft zu erwarten. Etwa dann, wenn Unternehmen wie Volkswagen nicht mehr darauf vertrauen können, dass China mehr als die Hälfte des Gewinns beisteuert. Und die chinesische Realwirtschaft ist tatsächlich (schon länger) unter Druck.

„Die Krise an den Finanzmärkten ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Nikolaus Lang, Europa-Chef für Wachstumsmärkte bei der Boston Consulting Group (BCG) zur „Presse“. „China ist zum Teil eine Hochrisiko-Kultur“ – sichtbar werde das etwa daran, wie leichtsinnig viele trotz schwacher Wirtschaftsdaten ihr (geborgtes) Geld bis zuletzt an die Börse getragen hätten. Zudem gebe es in China mindestens drei Blasen, die gefährlich werden können. Die Problemfelder heißen Aktien, Beton und Banken. Ihre gemeinsame Wurzel: exorbitante Verschuldung.

Seit 2008 haben sich die Schulden des Landes (Staat, Unternehmen und Private) auf 250 Prozent des BIP verdoppelt. Ein Teil des Geldes landete an den Börsen, der weitaus größere Teil steckt jedoch in den vielen Geisterstädten des Landes. Seit der Jahrtausendwende soll Peking mehr Beton verbaut haben als Europa im 20. Jahrhundert, schätzen hiesige Bauunternehmer. Immobilien, die kein Mensch je kaufen wird. Hinter all dem lauert eine Bankenblase. Die Vielzahl an Schatten- und Provinzbanken erzeugte eine (oft lokalpolitisch motivierte) Geldschwemme. Eine nationale Aufsicht, die prüft, ob die Institute dieses Kreditvergabetempo durchstehen können, fehlt.

Das offiziell angekündigte BIP-Wachstum von sieben Prozent im heurigen Jahr ist kaum haltbar. Auch ein gutes halbes Jahr nach der Lockerung der Geldpolitik fehlt jegliches Zeichen für eine Rückkehr zu schnellerem Wachstum.

Hoffen auf 150 Millionen Reiche

Doch auf BIP-Zahlen aus China vertraut BCG-Experte Nikolaus Lang ohnedies längst nicht mehr. Diese seien meist statistisch fragwürdig und aufgebläht durch öffentliche Ausgaben. „Wir durchleuchten stattdessen das Konsum- und Ausgabeverhalten privater Haushalte. Das ist deutlich aussagekräftiger.“ Hier findet er auch Grund zu Optimismus: 150 Millionen Haushalte in China seien mittlerweile gut situiert und sehen keinen Grund zurückzustecken. Einer aktuellen BCG-Umfrage zufolge wollen sie im nächsten Jahr ihren Konsum um ein Fünftel steigern. Allein in den größeren Städten bewegt diese Bevölkerungsschicht damit heuer 3,8 Billionen US-Dollar. In fünf Jahren sollen es 5,6 Billionen sein. Der aktuelle Kursrutsch spiele hier kaum eine Rolle.

Ökonomen sind bis dato skeptisch, ob es China gelingen kann, sein Wachstum von eigenen Konsumenten statt von Exporten tragen zu lassen. Lang sieht das anders: „Hundert Millionen gut verdienende Chinesen schaffen es, die Wirtschaft am Laufen zu halten.“ Auch, weil nicht mehr nur westliche Konzerne diese Käuferschicht bedienen. Wer einen guten Kühlschrank will, muss nicht Siemens kaufen, sondern wird auch beim chinesischen Haier gut bedient. Ordentliche Autos liefern auch Geely und Chery. Diese Käufe würden getätigt, ist Lang überzeugt. (Fast) egal, was an der Börse passiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2015)

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