Griechenland/EU: Anfängerfehler der Helfer rächen sich nun

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Eine Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel kommt zu dem Schluss, dass die Geldgeber Griechenlands anfangs zu sehr auf Verwaltungsreformen beharrt und zu wenig wachstumsfördernde Maßnahmen gesetzt haben.

Brüssel. Einkaufen am Sonntag, Liberalisierung des Handels mit Milch und Brot, mehr Wettbewerb unter den Betreibern von Fährschiffen – wer das Abkommen über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland studiert, das die Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 13.Juli unterzeichnet haben, findet eine Vielzahl präziser Reformen, die Griechenland umzusetzen hat, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Diese konkreten Auflagen sind ungewöhnlich, denn üblicherweise sind die Schlussfolgerungen der Brüsseler Gipfel allgemein formuliert: eine grobe Orientierungshilfe und kein detaillierter Fahrplan. Doch Griechenland ist ein Ausnahmefall, denn nach fünf Jahren und eineinhalb Hilfsprogrammen kann das Land noch immer nicht auf eigenen Beinen stehen.

Mit ihrem Beharren auf Marktreformen liegen die Geldgeber Griechenlands diesmal richtig. Denn nach Ansicht von Alessio Terzi braucht Griechenland derzeit vor allem Maßnahmen, die das Wirtschaftswachstum kurzfristig ankurbeln können. Im Auftrag der Brüsseler Ideenschmiede Bruegel hat der Ökonom eine Studie über den Einfluss der Reformen, die Athen seit 2010 verordnet wurden, auf das griechische Wachstum verfasst. Fazit des am gestrigen Mittwoch veröffentlichten Papiers: Mit ihrem anfänglichen Beharren auf radikale Verwaltungsreformen hat die Troika der Geldgeber (EU-Kommission, EZB, IWF) den Griechen keinen guten Dienst erwiesen.

Vergleich mit Portugal

Die Kritik, Athen habe zugesagte Reformen nicht umgesetzt, lässt der Studienautor so nicht stehen. Terzi hat die Reform-Performance Griechenlands und Portugals miteinander verglichen und kommt zu dem Schluss, dass die Griechen im Anfangsstadium 2010 (also beim ersten Hilfsprogramm) ebenso eifrige Reformer wie die Portugiesen waren. Drei Jahre später war Griechenland allerdings deutlich im Rückstand, was die Umsetzung der Gesetzesvorhaben anbelangt.

Das schlechte Abschneiden hat laut Terzi auch mit mangelhafter Reformbereitschaft in Teilen des griechischen Establishments zu tun – aber nicht nur. „Zwar liegt die Hauptverantwortung bei den griechischen Behörden, doch auch die internationalen Institutionen sind bis zu einem gewissen Grad dafür verantwortlich, dass die Strukturreformen in Griechenland das Wachstumspotenzial kaum erhöht haben“, heißt es in der Studie. Der Bruegel-Ökonom hat dafür zwei Erklärungen parat. Erstens sei der anfängliche Fokus auf Reformen der Staatsverwaltung zwar politisch verständlich, rückblickend betrachtet aber kontraproduktiv gewesen – und zwar, weil Reformen der Institutionen erst längerfristig das Wachstumspotenzial erhöhen, aber die Kräfte der Reformer binden. Laut Terzi wäre es daher besser gewesen, zuerst auf Markt- und Steuerreformen zu setzen und die Verwaltung frühestens dann zu reformieren, wenn sich die griechische Konjunktur wieder stabilisiert habe. Die Folge: Nach Berechnungen der Weltbank hat sich die Effektivität der griechischen Verwaltung im Zeitraum von 2010 bis 2013 sogar weiter verringert, anstatt wie erwartet zu steigen.

Anfängerfehler Nummer zwei war demnach, dass der Arbeitsmarkt zwar reformiert wurde, nicht aber die anderen Märkte. Fallende Nominallöhne wurden nicht in ausreichendem Maß durch fallende Preise ausgeglichen, da viele Branchen nach wie vor von der Konkurrenz abgeschottet wurden. Die Folge: massive Reallohnverluste und tiefe Rezession. Ähnliche Probleme gab es bei der Steuerreform: Die Empfehlung der Experten lautete Umschichtung der Steuerlast von den Einkommen zum Konsum, doch in der Praxis wurde die Anhebung der Mehrwertsteuersätze nicht durch Gegenmaßnahmen bei der Einkommensteuer kompensiert.

In Portugal klappte die Sequenz besser: kurzfristig wachstumsfördernde Maßnahmen vor Verwaltungsreformen, Reform des Arbeitsmarkts parallel zur Reform der Waren- und Dienstleistungsmärkte. Das erkläre, warum „Reformen in Portugal frühere und bessere Ergebnisse zeitigten“.

Nach Ansicht von Terzi ist die Situation derzeit so verfahren, dass die Geldgeber Griechenlands keine andere Wahl mehr haben, als den Fokus auf Wirtschaftswachstum zu setzen. Aus der politischen Perspektive sei es nach Jahren der Misserfolge dringend geboten, „zumindest einen Bereich vorweisen zu können, der erfolgreich reformiert wurde“, schreibt der Ökonom – die nun angepeilte Liberalisierung diverser Wirtschaftszweige sei ein Schritt in die richtige Richtung, weiteres Drehen an der Mehrwertsteuerschraube habe nur dann Sinn, würden zugleich die Löhne steuerlich entlastet.

Die Bereitschaft der Links-rechts-Regierung von Premier Alexis Tsipras hält sich indes in engen Grenzen. Athen werde die Verpflichtungen vom 13.Juli umsetzen, „unabhängig davon, ob wir dem zustimmen oder nicht, aber nichts darüber hinaus“, sagte Tsipras gestern in einem Radiointerview. Eine Sprecherin der EU-Kommission lobte indes die „reibungslose und konstruktive Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung“. Seit Wochenbeginn sind Experten des Geldgebertrios in Athen, um über die Modalitäten des dritten, 82 bis 86 Milliarden Euro schweren Hilfspakets zu verhandeln und die griechischen Bücher zu prüfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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