Machtkampf bei Syriza: Tsipras tritt Flucht nach vorn an

(c) Bloomberg (Kostas Tsironis)
  • Drucken

Der Regierungschef weist die innerparteilichen Kritiker in die Schranken. Das Kräftemessen in der Partei ist auf Herbst vertagt.

Athen. Alexis Tsipras trat wieder einmal die Flucht nach vorn an – und hat sich vorerst wieder einmal durchgesetzt. Im Machtkampf mit dem linken Flügel schlug der Premier einen außerordentlichen Parteitag seines radikalen Syriza-Bündnisses im Herbst vor, also erst nach der Einigung mit den internationalen Gläubigern Griechenlands über ein drittes Rettungspaket.

In der Nacht auf Freitag stimmte das Zentralkomitee seiner Partei zu. Selbstverständlich war das ganz und gar nicht. Denn der Ausgang der Konfrontation zwischen den Anhängern des Parteichefs und der innerparteilichen Opposition, allen voran die „Linke Plattform“ von Ex-Minister Panagiotis Lafazanis, war alles andere als sicher.

Die Gegner des Regierungschefs wollten einen Parteitag noch vor einer Einigung mit den Gläubigern erzwingen, um eine sofortige Einstellung der Verhandlungen und die Aufkündigung der Vereinbarung des Eurozonengipfels vom 12. und 13. Juli zu erreichen.

Mit dem Verlust der Mehrheit in der Partei wäre auch die Regierungskoalition aus Syriza und den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“ (Anel) zu Fall gekommen. Schon jetzt stimmten zuletzt 36 seiner 149 Abgeordneten gegen die Vorlagen der Regierung. Damit hat sie theoretisch schon jetzt die Mehrheit von 162 Stimmen im 300-köpfigen Parlament verloren, sie wurde jedoch durch die Opposition gestützt. Mit der Phrase „Eine linke Regierung stürzt durch die linken Abgeordneten, die ihr das Vertrauen entziehen“, schloss Tsipras aber jedenfalls eine Allparteienregierung unter Beteiligung der Opposition auf Dauer aus. So wird er entweder die Abgeordneten zur Räson bringen – oder Neuwahlen ausrufen müssen.

Urabstimmung als Plan B

Die innerparteilichen Mehrheitsverhältnisse waren vor der kritischen Sitzung des Zentralkomitees (ZK) unsicher. Nach der Einigung beim Eurozonengipfel hatten sich 109 der 201 Mitglieder des ZK dagegen ausgesprochen. Tsipras sah sich daher gezwungen, alles auf eine Karte zu setzen. So schlug er nicht nur die Abhaltung des Parteitags im September vor. Er präsentierte auch eine Alternative für den Fall, dass dieser Plan keine Zustimmung finden würde: eine Urabstimmung aller Parteimitglieder am kommenden Sonntag, in der die Frage geklärt werden sollte, ob die Partei den Abschluss des Rettungspakets gutheißt oder ablehnt. Damit wollte er die Opposition in den Gremien umgehen.

Spaltung unvermeidbar

Erst kurz vor der ZK-Sitzung wendete sich das Blatt zugunsten des Parteichefs. Die „Strömung 53+“, der unter anderem Finanzminister Euklid Tsakalotos angehört, kritisierte zwar die taktischen und politischen Fehler der Führung bei den bisherigen Verhandlungen mit den Gläubigern scharf, trat aber für den Parteitag im Herbst ein. Nach zwölfstündiger Sitzung war so eine Mehrheit für Tsipras und seinen Vorschlag für einen Parteitag sichergestellt.

Nach der turbulenten Sitzung scheint eine Spaltung der Partei im Herbst unvermeidlich zu sein. Tsipras attackierte seine Gegner in der Partei scharf. Wie extreme konservative Kreise in Europa wollten auch sie einen Grexit, einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Was im Fall eines Scheiterns des Gipfels geschehen wäre, führte der Ministerpräsident schon am Vortag in einem Radiointerview aus. Am Tag darauf wären die Auslandsfilialen der griechischen Banken in der Türkei und auf dem Balkan zusammengebrochen. Der Bankrott von zumindest zwei griechischen Systembanken wäre die unmittelbare Folge gewesen.

Es wären also nicht bloß Bankkonten von Sparern gestutzt worden – es wäre zu einem Totalausfall gekommen. Wer das ignoriere, so Tsipras, leugne entweder die Wahrheit oder lüge bewusst. Seine Kritiker wiederum meinten, die Annahme des Sparmemorandums der Gläubiger bedeute das Ende der Partei. Denn das Volk habe Syriza gewählt, um sich von den Sparprogrammen aus Brüssel zu verabschieden.

Bei der ZK-Sitzung erwähnte Tsipras auch die Affäre um Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, der Pläne zum Aufbau eines parallelen Bankensystems unter anderem durch die Nutzung der gehackten Steuernummern der griechischen Bürger ausgearbeitet hatte. Am Freitag im Parlament stellte er sich dann jedoch voll hinter seinen ehemaligen Finanzminister. Er persönlich habe den Befehl gegeben, Parallelszenarien zu entwerfen, sagte er. Wenn man angesichts der Grexit-Pläne Deutschlands und anderer Staaten für Griechenland keine „Verteidigungslinien“ aufgebaut hätte, hätte die Regierung fahrlässig gehandelt. Er habe aber nie selbst mit dem Gedanken gespielt, aus der Eurozone auszutreten. Hätte er dies tun wollen, hätte er es bereits nach der Volksabstimmung am 5. Juli umsetzen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.