Chinas Industrie wächst nicht mehr

(c) Bloomberg (Brent Lewin)
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Angesichts der jüngsten Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung schließen Fachleute eine "harte Landung" nicht aus. Peking stemmt sich dagegen - bisher verpufften die Maßnahmen.

PEKING/WIEN. War der Doppelschlag an den Börsen in Shanghai und Shenzhen im Juni und Juli nur die längst fällige Korrektur? Oder signalisiert der größte Kursrutsch seit acht Jahren, der trotz brachialer Zwangseingriffe des Staates in leicht abgefederter Version weitergeht, jene Abkühlung der Konjunktur, vor der Peking viele Jahre die Augen verschloss? Schon lange vermutet der Westen, dass die Wachstumszahlen, mit denen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt regelmäßig Verwunderung und Neid auslöste, geschönt sind. Sollte das auch jetzt so sein, dann dürften die Pessimisten recht behalten, die China sogar schon in der Rezession sehen und einen Dominoeffekt auf die Weltwirtschaft befürchten.

Denn die am Wochenende bekannt gewordenen Zahlen sind alarmierend genug: Angesichts des Nachfragerückgangs im In- und Ausland, zögerlicher Investitionen und Überkapazitäten in der Industrie rechnet China in diesem Jahr mit einem Wachstum von sieben Prozent – das wäre das niedrigste seit 25 Jahren. Diese magische Planzahl hat Peking allerdings auch schon im ersten Quartal verkündet – noch vor dem Desaster an den Börsen mit Kurseinbrüchen von 30 Prozent.

Exporte wachsen kaum

Viele Fachleute glauben daher eher an sechs, fünf oder noch weniger Prozent und schließen eine „harte Landung“ nicht aus. Einiges spricht zumindest für eine empfindliche Abkühlung: Die Ausgaben für die Infrastruktur und die Exporte dürften in den kommenden sechs Monaten kaum wachsen, sagte Chefstatistiker Sheng Songcheng am Wochenende einer chinesischen Wirtschaftszeitung.

In der Industrie kam das Wachstum im Juli sogar unerwartet zum Stillstand. Mit einem Wert von 50 Punkten lag der am Samstag veröffentlichte offizielle Einkaufsmanagerindex für die Branche genau auf der Linie zwischen Wachstum und Rückgang. Von Reuters befragte Experten hatten einen zum Vormonat unveränderten Wert von 50,2 Punkten erwartet, was ein leichtes Wachstum signalisiert hätte. Auch die Unternehmen selbst äußerten sich hinsichtlich ihrer Geschäftsaussichten eher pessimistisch. Schon im Juni schrumpften die Gewinne chinesischer Industrieunternehmen im Vergleich zum Vorjahr um 0,3 Prozent. Im Mai gab es noch einen Zuwachs von 0,6 Prozent.

Die Notenbank des Landes hält mit Zinssenkungen dagegen, während die Regierung mit Konjunkturprogrammen dem Wirtschaftsmotor mehr Zugkraft verleihen möchte. Bisher haben die raschen Eingriffe aber kaum gefruchtet – der Einbruch an den Aktienmärkten wirft das Land auf dem Weg zu veritablen Wachstumszahlen zurück. Denn der Crash hat fast vier Billionen Dollar (3,65 Bill. Euro) an Marktwert vernichtet. Dieses Geld fehlt nun für den privaten Konsum, denn Chinas Börsenboom wurde vor allem von Kleinanlegern getragen, die sogar auf Kredit Aktien gekauft haben.

Für die staatlichen Wirtschaftslenker in Peking könnte die Wirtschaftsflaute zur Bewährungsprobe werden. „Es ist die größte Krise für Staats- und Parteichef Xi Jinping seit seinem Machtantritt 2012“, sagt der bekannte China-Kenner Willy Lam. Ende 2013 hat Xi Jinping verkündet, auf mehr Markt zu setzen, und umfangreiche wirtschaftspolitische Reformen angekündigt. Die Freihandelszone in Shanghai ist ein Ergebnis – die Internationalisierung der Währung Renminbi ein anderes. Viele andere Probleme sind aber ungelöst. Dazu zählen die Umweltverschmutzung ebenso wie Korruption, die hohe Verschuldung (auch der Regionalregierungen, die in den Strudel sinkender Einnahmen und fallender Immobilienpreise geraten sind), regionale Konflikte, Missachtung der Menschenrechte und nicht zuletzt das dramatische Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich. Gerade Letzteres birgt in Kombination mit der abflauenden Konjunktur viel sozialen Sprengstoff. Zwar wurde die extreme Armut von 40 auf zwölf Prozent gesenkt, aber 80 Millionen Menschen leben nach wie vor unter der Armutsgrenze. Andererseits gibt es bereits 2,8 Millionen Dollarmillionäre und 200 Milliardäre.

Was wird Peking tun? Einen Hinweis dürfte der im Herbst anstehende 13. Fünfjahresplan liefern – der erste unter Staats- und Parteichef Xi Jinping. Derzeit wird beraten. (ag./eid)

AUF EINEN BLICK

Die jüngsten Wirtschaftsdaten Chinas sind besorgniserregend: In der Industrie kam das Wachstum im Juli zum Stillstand. Die Regierung rechnet für das Gesamtjahr mit einem Wachstum von sieben Prozent. Experten glauben eher an sechs, fünf oder noch weniger Prozent. Alle bisherigen Maßnahmen der Regierung –Zinssenkungen und Konjunkturprogramme – sind verpufft. Die Börsen bleiben auf Talfahrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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