Wie schickt man einen Staat in die Insolvenz?

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Die Griechenland-Krise hat die Konstruktionsmängel des Euro vor Augen geführt. Vor allem das Fehlen von Regeln für eine Staatsinsolvenz erweist sich als Pferdefuß. Mit einem neuen Modell wollen Kölner Ökonomen nun Abhilfe schaffen.

Berlin. Kurz hatte man gedacht, dass nach der im Juli mühsam gefundenen Einigung der internationalen Geldgeber mit Griechenland der leidige Schuldenstreit nun doch weitgehend vom Tisch sei. Aber bereits wenige Tage später wurde klar, dass das doch nur ein weiterer Ad-hoc-Schritt war und der Internationale Währungsfonds und die EU-Gremien selbst jetzt nicht dieselbe Vorstellung davon haben, wie man Griechenland sukzessive von der massiven Schuldenlast befreien soll. Somit trat ein weiteres Mal zutage, wie sehr es der Europäischen Union an klaren Regeln für den Umgang mit Problemländern mangelt.

Das scheinen vor allem in Deutschland immer mehr Abgeordnete sattzuhaben. Nicht zufällig haben dort 60 Abgeordnete der CDU-Fraktion zuletzt bereits gegen das dritte Hilfspaket für Griechenland gestimmt. Und nicht zufällig hat dort nun das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) ein mehrstufiges System für eine Staatsinsolvenzordnung im Euroraum vorgelegt.

Mehr Rechte für den ESM

Dem Vorschlag der Ökonomen zufolge soll, wie die Tageszeitung „Welt“ darüber am Montag berichtet hat, nicht nur ein überschuldetes Land selbst ein Insolvenzverfahren veranlassen können, sondern auch der europäische Rettungsschirm ESM. Er soll im Fall einer deutlichen Mehrheit einen Euro-Mitgliedstaat in ein Insolvenzverfahren zwingen können, um eine mögliche Insolvenzverschleppung zu vermeiden.

Danach würde das Land zuerst allein mit den Gläubigern verhandeln. Im Fall eines Scheiterns komme eine neu zu schaffende Kammer am Europäischen Gerichtshof ins Spiel, die die Verhandlungen beratend begleite. Führe auch dies zu keiner Lösung, habe das Gremium das letzte Wort, wie umgeschuldet werden soll, legte die „Welt“ dar. „Eine staatliche Entschuldung darf aber immer nur Ultima Ratio sein“, sagte Ko-Studienautor Jürgen Matthes.

Nicht nur der Fall Griechenland bereitet Sorgen in den Mitgliedstaaten. Schließlich finden sich unter den zwölf am höchsten verschuldeten Nationen weltweit – gemäß Auflistung der Ratingagentur Fitch – weitere sieben aus der Währungsgemeinschaft. Vor allem Italien sticht mit einer Verschuldung von 130Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung negativ hervor.

Deutschland im Diskussionsfieber

„Noch nie wurde in Deutschland so intensiv über eine Staatsinsolvenzordnung diskutiert wie derzeit“, wird Christoph Paulus, Jurist an der Berliner Humboldt-Universität und gewissermaßen Vordenker für ein Staatsinsolvenzrecht, im Bericht zitiert. Auch die Kölner Ökonomen gehen davon aus, dass ein Insolvenzrecht endlich Ordnung in das bestehende Chaos bringen würde. „Durch die Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens im Euroraum wird der Grundsatz der Währungsunion gestärkt, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes haften muss und so der Gefahr vorgebeugt, dass die Eurozone zu einer Transferunion verkommt“, erklärt Studienautor Matthes.

Stolpersteine des neuen Modells

Über die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen Modells bestehen indes keine Illusionen. Um die Krisenwirkungen für den betroffenen Staat zu mildern, soll den Angaben zufolge zu Verhandlungsbeginn ein Moratorium für Schuldendienst und Klagen in Kraft treten. Damit das vom Finanzmarkt abgeschirmte Land weiter seine Staatsbeamte und Renten bezahlen könne, müsse es Überbrückungshilfen aus dem europäischen Rettungsschirm erhalten. Diese müssten wie üblich mit strengen Reformauflagen verbunden sein, fordert das IW.

Bevor ein Insolvenzverfahren eingeführt werden kann, müssten aber zunächst die Staaten ihre Schuldenstände in einem erheblichen Maß reduzieren. Außerdem müssten Banken und Versicherungen Verluste aus einem Staatsbankrott verkraften können und daher stärker kapitalisiert sein. Daneben schlagen die Wirtschaftsforscher auch vor, das laufende Staatsanleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) zu nutzen, um den derzeit hohen Bestand an Staatsanleihen in den Bankbilanzen zu reduzieren.

Zwar brächte eine Insolvenzordnung für Staaten auch einige Risken wie drohende Ansteckungseffekte auf andere Länder mit sich, so die IW-Forscher. Am Ende würden die Vorteile einer Insolvenzordnung die potenziellen Nachteile aber „deutlich überwiegen“. (ag./est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2015)

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