Libor-Skandal: Ein Star, Schurke und Sündenbock

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Der Libor-Skandal hat ein Gesicht: Der frühere UBS-Händler Tom Hayes muss ins Gefängnis, weil er den wichtigsten Referenzzinssatz manipuliert hat. Wer ist dieser Mann?

Wien/London. Oft war der Job für ihn die Hölle, wenn es nicht richtig lief mit den Deals. Dann wäre Tom Hayes auf dem Weg zur Arbeit am liebsten „von einer Brücke gesprungen“. Aber dann gab es auch diese großen Momente, wenn „diese Zahl auf dem Bildschirm auftaucht“, wenn „du es richtig gemacht hast, wenn die Gleichung aufgeht“. Die Zahlen sind seine Welt, hier fühlt er sich zuhause: „Da gibt es nichts Subjektives: Du machst Geld, du verlierst es – es ist so rein.“

Eine reine, klare Zahl steht nun am Ende der Karriere des früheren Starhändlers der Schweizer Großbank UBS: 14 Jahre Haft. Der 35-Jährige ist das erste Gesicht zum Libor-Skandal, der die Integrität der großen Banken vielleicht noch schwerer untergraben hat als die Finanzkrise. Über Jahre hinweg haben Händler und Broker jenen Zinssatz manipuliert, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen und der als Referenzpreis für zahllose Finanzprodukte dient, bis hin zur Hypothek für den Wohnungskäufer.

Die Institute selbst haben sich längst mit den Regulatoren verglichen. Jetzt sollen Gerichte konkrete Täter hinter Gitter bringen. Hayes ist der erste Verurteilte. Der verheiratete Brite, Vater eines kleinen Sohnes, hat den Schwindel nie bestritten und fühlt sich doch als Opfer: „Meine Vorgesetzten wussten es, deren Vorgesetzte wussten es. In manchen Fällen wusste auch der Chef Bescheid.“ Ein Mitläufer als Sündenbock?

Hayes entspricht nicht dem Bild, das man sich gemeinhin von einem Investmentbanker macht. Auf der Uni studierte er Mathematik und Maschinenbau. Statt sich schick herauszuputzen, wirkte er ungepflegt. Während seine Kollegen den Feierabend mit Bier und Champagner begossen, harrte Hayes vor seinen Tabellen aus und lauerte auf Zahlen der Wall Street. Kam er doch einmal mit, trank er Kakao. „Schokolade-Tommy“ haben sie ihn deshalb genannt. Böser war ein früherer Spitzname: „Rain Man“, nach dem Film über einen Autisten mit speziellen Fähigkeiten. Tatsächlich wurde bei Hayes jüngst eine leichte Form des Asperger-Syndroms diagnostiziert. Typische Symptome: zwanghaftes Verhalten, soziale Distanz, große Begabung im Rechnen.

Millionär in drei Jahren

Die kam seinem Arbeitgeber freilich sehr zugute. Von 2006 bis 2009 brachten die Deals des Derivatehändlers in Tokio der UBS hunderte Millionen Pfund ein. Dafür erhielt der noch nicht Dreißigjährige in nur drei Jahren 1,5 Mio. Pfund als Lohn. Doch mit Geld wusste Hayes nie recht etwas anzufangen. Die „Gier“, die ihm der Richter nun vorwarf, war die nach Anerkennung – der Bonus als gute Note im Zeugnis. Nur ganz am Anfang ging bei seinen Geschäften, die auf dem Libor basierten, alles mit rechten Dingen zu. Wie war der Zins zu manipulieren? Der Satz wird durch Umfragen bei den Banken ermittelt. Hayes konnte sich also mit Kollegen verbünden, die solche Angaben machen – indem er sie bat, schmierte oder nötigte.

Meist wählte er aber den Weg über die Broker. Diese Vermittler haben den besten Überblick über den Markt. Auch die Libor-Verantwortlichen der Banken erhalten von ihnen Rat über die richtige Rate. 2009 verließ Hayes die UBS, weil sie ein Bonusversprechen nicht einlöste. Von der Citigroup erhielt er als Einstandsgeschenk drei Mio. Dollar. Bei der US-Bank glaubte er, er könne weitermachen wie gewohnt. Sein Pech: Er wusste nicht, dass sein neuer Arbeitgeber schon heimlich mit der US-Aufsicht in Sachen Libor-Aufklärung kooperierte. Nach nur neun Monaten wurde er gefeuert. Er ging zurück nach England, heiratete und renovierte ein Pfarrhaus in einem malerischen Dörfchen in Surrey. Bis die Polizei vor seiner Tür stand. Um eine Auslieferung in die USA zu verhindern, wo ihm lebenslange Haft drohte, packte er vor den Ermittlern in allen Details aus – 82 Stunden auf Tonband. Er erreichte, was er wollte: eine Anklage in Großbritannien.

Prompt kündigte er die Zusammenarbeit auf und plädierte auf „nicht schuldig“. Damit hatte er seine letzte Karte ausgespielt – und sich verzockt: Die Justiz nahm ihm sein Hasardspiel übel. Aber ist er nur ein Sündenbock? Dem ersten Urteil sollen weitere folgen: 22 Anklagen sind geplant. Welche Rolle er im großen Libor-Betrug spielte, hat Hayes in seinem später widerrufenen Geständnis wohl gut umrissen: „Obwohl ich an einem System teilnahm, in dem das gang und gäbe war, war ich letztlich doch ein Serientäter.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2015)

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