Kreml vernichtet westliches Essen

Handout photo of a bulldozer destroying illegally imported cheese falling under restrictions in Belgorod region
Handout photo of a bulldozer destroying illegally imported cheese falling under restrictions in Belgorod regionREUTERS
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Putin startet eine brutale Aktion scharf gegen den illegalen Import westlicher Lebensmittel. Das bringt sogar seine Landsleute auf. Sie waren schon bisher die Leidtragenden des Embargos.

Wien. Er hat gute Chancen, zum Helden der Tomatenliebhaber zu werden – jener Lkw-Fahrer, der am Donnerstag kurz nach Mitternacht von russischen Zollbeamten an der weißrussisch-russischen Grenze aufgehalten wurde. Als er erfuhr, dass ab sofort ausländische Lebensmittel, die in Umgehung des russischen Importembargos ins Land gelangen, vernichtet werden, stieg er aufs Gas, ließ Reisepass und Dokumente liegen und raste mit seiner 1,5 Tonnen schweren Ladung zurück nach Weißrussland.

Russland macht Ernst

Andere schalteten nicht so schnell. Und so hat die landwirtschaftliche Aufsichtsbehörde Rosselchoznadsor (RSCN) allein auf dieser Route am Donnerstag begonnen, einen 55 Tonnen schweren Haufen von Pfirsichen und Tomaten zu vernichten. In der südwestlichen Stadt Belgorod wurden zeitgleich zehn Tonnen Käse eingestampft. In Samara an der Wolga wurden 114 Tonnen Schweinefleisch verbrannt. Insgesamt Hunderttausende Tonnen Lebensmittel wurden allein am gestrigen Donnerstag vernichtet, sagte RSCN-Chef Sergej Dankwert. Russland macht allem Anschein nach Ernst, seit am Donnerstag um Mitternacht der Kreml-Erlass gegen die Verletzung des Importembargos in Kraft getreten ist.

In der Tat war gegen das Einfuhrverbot auf westliche Agrarprodukte, das im Vorjahr als Reaktion auf die westlichen Sanktionen verhängt worden war und auch österreichischen Exporteuren schwer zu schaffen macht, häufig verstoßen worden. Gerade über Russlands Partnerländer innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion waren Produkte unter falscher Etikettierung ins Land gelangt. Von 700 bis 800 Übertretungen in den vergangenen Monaten sprach Vizepremier Arkadi Dworkowitsch. Etwa zehn Prozent der überprüften Lieferungen seien illegal, hieß es seitens der russischen Zollbehörden. Glaubt man Dankwert, so hat allein die Unterzeichnung des Erlasses für Abschreckung gesorgt, hätten sich doch die illegalen Importe in den vergangenen Tagen auf ein Zehntel reduziert.

Dass die Lebensmittel nun aber tatsächlich verbrannt statt wie zuvor zurückgeschickt werden, sorgt auch in Russland selbst für Irritation. Dies springt umso mehr ins Auge, als der Großteil der Bevölkerung seit Beginn der Ukraine-Krise die Politik des Kreml in einem hartnäckigen Hurrapatriotismus goutiert. Aber nicht wenige Russen haben selbst karge Zeiten durchlebt. Über 267.000 Menschen schlossen sich daher bis Donnerstag einer Online-Petition an, in der Präsident Wladimir Putin aufgefordert wird, den Erlass zurückzunehmen und die Nahrungsmittel Bedürftigen zu übergeben. Immerhin würden über 16 Millionen Menschen im Land unter der Armutsgrenze leben.

Konsumenten zahlen drauf

Weshalb der Kreml nun auf eine schärfere Gangart umstellt, erschließt sich politischen Beobachtern nicht. Und auch wirtschaftlich sei die Aktion „absolut nicht logisch“, wie Alexej Portanski, Handelsexperte an der Moskauer Higher School of Economics, im Gespräch erklärt: „Wie auch das Embargo selbst nur einen Verlierer hervorgebracht hat – die Konsumenten.“

In der Tat sind die Menschen nicht nur gezwungen, auf die einst bevorzugten Westprodukte zu verzichten. Sie müssen zusätzlich zu den nun qualitativ schlechteren Ersatzprodukten auch noch höhere Preise in Kauf nehmen. Je nach Produkt reiche die Teuerung von 20 bis 150 Prozent, so Portanski.

Offiziell wird das Importembargo – im Verein mit der massiven Rubel-Abwertung – als Chance ausgegeben, die unterentwickelte Landwirtschaft auf Vordermann zu bringen und den Import zu ersetzen. „Ich kann nur sagen, dass die Gegensanktionen bei der Importsubstitution in einigen Sektoren helfen“, sagte Andrej Belousov, Putins Wirtschaftsberater, kürzlich im Interview mit der „Presse“.

Dafür braucht es freilich Zeit und Zugang zu Finanzierungen, um die neuesten Anlagen und das nötige Know-how anzuschaffen. Das wissen nicht nur die Unternehmer, die das Importembargo nur zum Teil gutheißen. Das weiß auch Belousov: Die Importsubstitution finde sehr wohl statt, sagt er: „Aber nicht in dem Ausmaß, in dem sie stattfinden könnte.“

AUF EINEN BLICK

Als Reaktion auf die Sanktionen hat Russland im Vorjahr ein Embargo gegen westliche Lebensmittel eingeführt. Weil es häufig umgangen wurde, werden nun beschlagnahmte Esswaren vernichtet.

Auch Österreich spürt die Handelsbarrieren deutlich. Im Vorjahr ging der Export nach Russland um acht Prozent, in den ersten vier Monaten 2015 um

40Prozent zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2015)

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