Reformen, Rebellen, Rekapitalisierung: Tsipras unter Zeitdruck

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Bankensystem, Industrie und Arbeitsmarkt in Griechenland sind am Boden. In der regierenden Syriza brodelt es.

Athen. Die Einigung Griechenlands mit den technischen Teams der Gläubigerinstitutionen wurde schon politisch ausgeschlachtet, als deren Inhalt noch lang nicht bekannt war. Die Regierung veröffentlichte einen Maßnahmen-„Cocktail“ von elf Punkten, der beweisen sollte, dass das Paket milde, ja sogar wachstumsfördernd, in jedem Fall aber besser als alle Vereinbarungen der Vorgängerregierungen war. Mit den vor allem für Pensionisten, Bauern und Immobilienbesitzer unangenehmen Details hielt man sich vorerst nicht auf.

Ministerpräsident Alexis Tsipras vom regierenden Linksbündnis Syriza weiß offenbar seit seiner – unfreiwilligen – Bekehrung zu Reform- und Sparpaketen nordeuropäischen Typs endlich, was er will; und ohne große Rücksicht auf Verluste versucht er das auch durchzuziehen. Die Überraschung in mehreren europäischen Hauptstädten ist groß: Während man im deutschen Finanzministerium noch von schleppenden Verhandlungen und Überbrückungskrediten sprach, hatten die zuständigen griechischen Wirtschafts- und Finanzminister in wiederholten Nachtschichten mit dem Verhandlerquartett von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischem Rettungsmechanismus (ESM) bereits die meisten Punkte abgehakt. Was natürlich nicht sicherstellt, dass bei der Sitzung der Euro-Gruppe, die am Freitag stattfinden soll, auf politischer Ebene alles reibungslos ablaufen wird.

Kurseinbrüche der Banken

Eile ist in jedem Fall geboten: Ziehen sich die Verhandlungen weiter hin, wäre der Schaden für das ohnehin schon angeschlagene griechische Bankensystem, für die Industrie und für den Arbeitsmarkt tödlich. Jeder Tag mit Grexit-Spekulationen und ausgetrockneten Banken, jeder Tag mit beschränkten Importen von Rohmaterialien für die Produktion und jeder Tag mit Firmenschließungen kostet die griechische Volkswirtschaft Millionen. Allein die katastrophalen Kurseinbrüche der griechischen Banken Anfang der Woche nach der Wiedereröffnung der seit Ende Juni geschlossenen Athener Börse machen klar, wie schlimm es um die griechischen Kreditinstitute steht. Ohne stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen und schnellstmögliche Rekapitalisierung werden die privaten Investoren das sinkende Schiff verlassen.

Auch die unbedienten Kredite sind im Zeichen der Kapitalkontrollen inzwischen – wie die Regierung gestern festgestellt hat – bei 93 Milliarden Euro angelangt. Eine immense Summe, in etwa die Hälfte der Leistung der griechischen Volkswirtschaft. Die Arbeitslosenzahlen wiederum waren trotz der langwierigen Verhandlungen mit den Gläubigern Ende Mai mit 25 Prozent besser als erwartet. Doch mit der Verhängung der Kapitalkontrollen Anfang Juli sahen sich viele Firmen gezwungen zuzusperren. Nach Angaben des Arbeitsministeriums gingen im vergangenen Monat tausende Arbeitsplätze verloren. Fazit: Je länger die Geldknappheit auf dem Markt anhält, desto mehr Unternehmen müssen das Handtuch werfen.

Zeichen stehen auf Spaltung der Syriza

Doch natürlich hat Premier Tsipras auch handfeste politische Gründe, Gas zu geben. Denn erst nach einer Einigung mit den Gläubigern hat er freie Hand, sein politisches Überleben im Inland zu sichern. Erst nach Begleichung seiner Rechnungen mit der innerparteilichen Opposition der Linken Plattform von Panagiotis Lafazanis kann er ans Regieren denken – zurzeit lebt die Koalitionsregierung von Syriza und den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel) von Gnaden der Oppositionsparteien der rechten und der linken Mitte. Zu Regierungsantritt Anfang Jänner hatte die Koalition 162 Stimmen im 300-sitzigen Parlament.

Nachdem 36 der 149 Syriza-Abgeordneten im Juli die Sparpakete im Parlament nicht mitgetragen haben, steht die Koalition heute bei 126 Stimmen, hat also die absolute Mehrheit verloren. Am Dienstag bezeichneten Vertreter der Linken Plattform die Maßnahmen bereits als Guillotine für die Bevölkerung und kündigten an, dass ihre Abgeordneten sie nicht mittragen werden. Der Aktionsplan des Ministerpräsidenten sieht einen Parteitag seiner Syriza im September 2015 vor, um seine Position in den Parteiorganen zu stärken – und, wenn die abtrünnigen Parlamentarier ihre Sitze nicht abgeben, Neuwahlen. Seit der jüngsten Sitzung des Syriza-Zentralkomitees Ende Juli stehen die Zeichen in der Partei auf Spaltung. Die Linke Plattform spricht immer deutlicher von der Rückkehr zur Drachme und stellt die Gründung einer eigenen Partei in den Raum. Die Sprache wurde in der vergangenen Wochen rauer, der Hauptvorwurf gegen die Plattform ist deren „Verrat an der ersten Linksregierung Europas“.

Innenminister schließt Neuwahlen nicht aus

Sollte die Links-Rechts-Regierungskoalition jedoch bei der Abstimmung über das neue Hilfsprogramm am Donnerstag auf unter 120 Stimmen fallen, könnte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, sagte der griechische Innenminister Nikos Voutsis am Mittwoch im griechischen Fernsehen MEGA. Mit weniger als 120 Abgeordneten könne man nicht an der Spitze einer Minderheitsregierung das Land führen.

Dann gebe es "keine andere Möglichkeit" als Neuwahlen, sagte Voutsis. Laut Verfassung sind für Entscheidungen im Parlament mindestens 120 Stimmen nötig. Das Parlament hat 300 Sitze. Sind weniger Abgeordnete anwesend, muss trotzdem eine relative Mehrheit von 120 Stimmen erreicht werden, damit ein Votum rechtskräftig ist.

Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia, aber auch die gemäßigte Mitte von Pasok und Potami sind im Dilemma. Einerseits kritisieren sie die Verhandlungstaktik der Regierung und die Härten des neuen Memorandums hart, andererseits aber müssen sie die Maßnahmen im Parlament mittragen, um das Land zu retten. So haben sie wenig Chancen, von den vielen Fehlern der Regierung Tsipras zu profitieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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