Drei Mal Osten: Wer Hoffnung und wer Kummer macht

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Während Russland und die Ukraine zurzeit vor allem Hiobsbotschaften liefern, mausern sich die meisten EU-Länder im Osten zu soliden Wachstumsmotoren.

Experten predigen es seit Jahren: Osteuropa ist wirtschaftlich betrachtet keine homogene Region, man darf die Länder nicht in einen Topf werfen. Doch wohl noch nie war die Region so klar zwei-, ja dreigeteilt: Die „mitteleuropäischen“ EU-Staaten, von Polen bis Ungarn, sind zu kleinen Stabilitätsankern geworden. Der „fernere“ Osten mit seinen politischen Wirrnissen bricht ein. Auf unsicheren Pfaden wandeln die Beitrittskandidaten am Westbalkan.

Im Höhenflug

Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien: Die Schwellenländer-Analysten geraten ins Schwärmen, wenn man sie auf ihre neuen Lieblinge anspricht. In den Ländern Osteuropas, die schon länger in der EU sind, läuft zurzeit fast alles in die gewünschte Richtung: Sie bieten hohe Wachstumsraten, eine niedrige Inflation, stabile Währungen, steigende Beschäftigung, solide Finanzen und – anders als in der Boomphase der Nullerjahre – auch Überschüsse in der Leistungsbilanz. Der bisher erfolgreichste Aktienmarkt der Welt in diesem Jahr? Ungarn. Das stärkste Wachstum in der EU im zweiten Quartal? In Rumänien. Die stabilste Aufwärtsentwicklung, die auch die globale Wirtschaftkrise nicht trüben konnte? In Polen.

Die Dynamik ist umso wertvoller, als sie schon von einem recht hohen Wohlstandsniveau ausgeht. Das macht diese Staaten nicht nur zu kleinen Stabilitätsankern, sondern auch zu Wachstumsmotoren. Zumal sie fest eingebunden sind in die Wertschöpfungsketten der westeuropäischen Industrie, vor allem in den Bereichen Autobau, Maschinen und Chemie. Sicher: Die Zwangskonvertierung der Schweizer-Franken-Kredite in Ungarn war rechtsstaatlich fragwürdig, aber die Entlastung der gefährlich stark verschuldeten Haushalte hat den privaten Konsum beflügelt. Kleine Wolken lassen sich finden: In Rumänien und Polen bringen die nahenden Wahlen fiskalischen Übermut und politische Risken mit sich. Aber das Fundament aus niedriger Staatsverschuldung und solider Wirtschaftsstruktur ist überall fest genug, um auch kleineren Erdbeben standzuhalten.

Im Wartezimmer

Eine Region im Wartezimmer: Auf dem Westbalkan tummeln sich die kleinen EU-Beitrittskandidaten mit ihrer ungewissen politischen Zukunft. Auch ökonomisch bieten sie ein durchwachsenes Bild: Serbien steckt noch in einer leichten Rezession, aus der es sich nur zögerlich befreit. Der Anteil der faulen Kredite ist hier immer noch sehr hoch und wirkt lähmend. Der Staat macht hohe Defizite. Kroatien, das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen, hat es zwar schon 2013 in die Union geschafft. Aber als einziges EU-Mitglied in Osteuropa kommt es ökonomisch nicht vom Fleck. Zu stark binnenorientiert ist seine Wirtschaft, nur der Tourismus legt zu. Besser sieht es in Mazedonien aus. Aber für alle diese Länder gilt: Das Wachstum müsste in den noch schwach entwickelten Volkswirtschaften viel stärker sein, damit man von einer echten Aufholjagd sprechen könnte.

In „Failed States“ wie dem Kosovo oder Bosnien und Herzegowina ist Wachstum ohnehin trügerisch, weil es ihm an Nachhaltigkeit fehlt. So erklärt sich der aktuelle Boom im Kosovo damit, dass die Beamten dank höherer Gehälter mehr konsumieren (wie früher in Griechenland) und dass Ausgewanderte mehr an ihre Familien in der Heimat überweisen. Aber auch in den Ländern, die eine solidere Struktur aufweisen, ist die Verflechtung der Industrie mit der Westeuropas weit weniger stark als etwa in Tschechien oder der Slowakei. Damit profitieren sie auch weniger von der leichten Erholung in der Eurozone. Eine gewisse Belastung ergibt sich aus der Krise im nahen Griechenland, dessen Banken am Balkan aktiv sind.

In der Bredouille

In Moskau werden die Optimisten langsam rar. Nach einem Absturz der Wirtschaft um 4,6 Prozent im zweiten Quartal sorgt selbst die russische Zentralbank für düstere Prognosen für das heurige Jahr. Der Absturz der Rohölpreise und die westlichen Sanktionen aufgrund des Konflikts mit der Ukraine drücken nicht nur die Erwartung für das heurige Jahr (minus 3,2 Prozent). Auch das mittelfristige Potenzialwachstum des Landes sinke auf 1,5 Prozent.

Das Potenzialwachstum beschreibt jene Wachstumsrate, die ein Land erreichen kann, wenn alle Kapazitäten voll ausgeschöpft werden. Vor zwei Jahren lag es in Russland noch bei 2,5 Prozent. Hauptgrund für die schwächeren Aussichten ist die unverändert starke Abhängigkeit des Landes vom globalen Ölpreis. Dessen Verfall in den vergangenen Monaten bringt Konjunktur, Staatsfinanzen und den Rubel unter Druck. Diese Entwicklung könnte sich noch verschärfen, wenn mit dem Iran ein alter Rivale Russlands wieder auf den internationalen Ölmarkt zurückkehrt. Iranisches Öl ist dem aus Russland sehr ähnlich und damit gut geeignet für Europas Raffinerien. Fallen die Sanktionen gegen den Iran, bahnt sich ein Preiskrieg an.

Ukraine vor der Staatspleite

Noch drastischer ist die Lage in der Ukraine. Die jahrelange Misswirtschaft, Korruption und der Konflikt mit prorussischen Separatisten im Osten des Landes haben die Ukraine an den Rand der Staatspleite getrieben. Die Volkswirtschaft dürfte im heurigen Jahr um 10,5 Prozentpunkte einbrechen. Die Regierung in Kiew bemüht sich bei ihren Gläubigern, einen Schuldenerlass von 40 Prozent durchzusetzen. Konkret geht es um Auslandsschulden in Höhe von 23 Mrd. Dollar (20,5 Mrd. Euro). Ende August werden Zinsen fällig, am 23. September laufen Anleihen über 500 Mio. Dollar aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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