Chinas Industrie auf der Suche nach der Talsohle

File photo of smoke rising from a chimney among houses as new high-rise residential buildings are seen under construction on a hazy day in the city centre of Tangshan
File photo of smoke rising from a chimney among houses as new high-rise residential buildings are seen under construction on a hazy day in the city centre of TangshanREUTERS
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Der Einkaufsmanagerindex der verarbeitenden Industrie ist auf ein Sechsjahrestief gefallen. Die Kurse an den Börsen gaben wieder deutlich nach.

Die wirtschaftliche Stimmung in China ist so schlecht wie seit der globalen Finanzkrise vor sechs Jahren nicht mehr. Nach der wochenlangen Achterbahnfahrt der chinesischen Börsen rutschten die Kurse am Freitag wieder fast auf ihren jüngsten Tiefstand von vor sechs Wochen. Damit wurden die Ergebnisse der milliardenschweren staatlichen Interventionen seither zunichtegemacht. Die Sorgen über die zweitgrößte Volkswirtschaft belasteten auch andere Börsen von Hongkong über Tokio, wo der Nikkei-Index für 225 führende Werte unter die kritische Marke von 20.000 Punkten sackte, bis hin zu Frankfurt.

Völlig unerwartet fiel ein wichtiger Frühindikator für Chinas Konjunktur auf seinen niedrigsten Stand seit März 2009. Der Einkaufsmanagerindex der verarbeitenden Industrie (PMI), der die Stimmung in den Unternehmen misst, ging auf 47,1 Punkte zurück, wie das chinesische Wirtschaftsmagazin "Caixin" in einer vorläufigen Schätzung berichtete. Analysten hatten mit 48,2 Punkten gerechnet. Im Juli lag der Indikator nach endgültigen Zahlen noch bei 47,8 Punkten. Werte über der kritischen Grenze von 50 Punkten deuten auf eine Expansion hin, während darunter von einem Abschwung auszugehen ist.

Börsen rutschen in Keller

Die Wirtschaft sei noch dabei, die Talsohle zu erreichen, meinte Chefökonom He Fan. "Aber insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit eines systemischen Risikos unter Kontrolle." Doch ließen die schlechten Nachrichten Chinas Börsen wieder in den Keller rutschen. Der Shanghai Composite Index fiel um 4,27 Prozent, der Shenzhen Component Index verlor 5,42 Prozent.

Die chinesische Wertpapieraufsicht hat Aktienbesitzern schwere Strafen angedroht, wenn diese illegal Anteile von börsennotierten Unternehmen verkaufen. In 52 Verdachtsfällen seien Ermittlungen aufgenommen worden, teilte die Regulierungsbehörde am Freitag mit. Um den seit Mitte Juni andauernden Kursverfall zu stoppen, hat die Regierung Aktionären, die mehr als fünf Prozent an einem Unternehmen halten, bereits den Verkauf von Anteilen verboten. Allein in dieser Woche verloren die chinesischen Aktienmärkte elf Prozent an Wert.

Die Sorgen um China zogen auch andere asiatische Börsen nach unten. In Tokio notierte der Nikkei einen heftigen Abschlag von 2,98 Prozent auf 19.435,83 Zähler. Das ist der niedrigste Stand seit rund dreieinhalb Monaten. Die Auswirkungen erreichten auch den Dax. Der deutsche Leitindex fiel zu Handelsbeginn unter dem Einfluss der Nachrichten aus China um mehr als zwei Prozent. Später machte der Dax dank unerwartet guter Konjunkturdaten aus Deutschland einen Großteil dieser Verluste wett und sank zuletzt um 0,41 Prozent auf 10.389,71 Punkte.

Niedrigeres Wachstum für China vorausgesagt

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln forderte neben der wirtschaftlichen auch eine politische Liberalisierung in China. "Das Wirtschaftsmodell hat seine Wachstumsgrenze erreicht", hieß es in einer Analyse. "Es setzt noch immer nur auf wirtschaftliche Freiheit, während es keine gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Freiheiten gewährt." Ohne diese werde es für die Volksrepublik jedoch "unmöglich" sein, den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen. "Und das gefährdet auch die schwache Weltwirtschaft."

Das chinesische Wachstum werde sich voraussichtlich auf durchschnittlich nur noch fünf Prozent einpendeln, sagte das Institut voraus. "Für Nationen wie Deutschland, die auf den Export von Investitionsgütern setzen, bedeutet das einen erheblichen Anpassungsbedarf - es sei denn, die chinesische Regierung denkt nachhaltig um", heißt es weiter.

Reformen lahmen

Chinas Wirtschaft war von Jänner bis Juni im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 um sieben Prozent gewachsen. Das war zwar so schnell wie von der Regierung vorgegeben, aber so langsam wie seit 25 Jahren nicht mehr. Experten gehen auch davon aus, dass das tatsächliche Wachstum längst unter diese offizielle Marke gerutscht ist. Probleme bereitet der chinesischen Industrie neben steigenden Lohnkosten auch die schwächelnde Weltwirtschaft, wegen der die Nachfrage aus dem Ausland nach chinesischen Waren zurückgeht.

Chinas Regierung hat den größten Umbau der Wirtschaft seit Jahrzehnten angekündigt, doch kommen die Reformen langsamer als erwartet voran. Das Land will unabhängiger von Exporten werden und nicht mehr die verlängerte Werkbank der Welt sein. Stattdessen sollen Innovation gefördert und ein Hochtechnologiesektor aufgebaut werden.

(APA/dpa/Reuters)

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