Ottacher: „Die Zeit des Schwarzen Tigers kommt“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Entwicklungshilfe-Experte Friedbert Ottacher über den Rückstand Afrikas, neue Hürden für Helfer und darüber, warum Wachstum allein nicht alle Probleme löst.

Warum bleibt Afrika in der Entwicklung so zurück, anders als Asien und Südamerika?

Die Zeit des „Schwarzen Tigers“ wird kommen. Aber Afrika hat große Startnachteile durch die vielen Ethnien und den massiven Flurschaden, den der Kolonialismus angerichtet hat. Den gab es zwar auch in Asien. Aber vor dem Kolonialismus gab es dort feste Strukturen: arbeitsteiliges Handwerk, klare Besitzverhältnisse durch Landtitel und eine funktionierende Verwaltung. Südamerika war überhaupt eine Siedlerkolonie, die schon vor 200 Jahren und mehr unabhängig wurde, mit eigenständiger Kultur und nur zwei Sprachen.

Der Kolonialismus liegt lang zurück.

Die moralische Verantwortung nimmt ab. Aber was Kolonialismus und Sklavenhandel angerichtet haben, wirkt stark nach, vor allem psychologisch.

Schauen sich die Afrikaner von den asiatischen Tigerstaaten etwas ab?

In Asien war die Kombination von Protektionismus und Marktwirtschaft sehr erfolgreich. In Afrika sind etwa Ruanda und Äthiopien vergleichbare Entwicklungsdiktaturen auf Zeit, und sie liefern auch tolle Wachstumszahlen. Das ist ein afrikanisches Credo: Für Demokratie ist es bei uns zu früh. Als überzeugter Demokrat sage ich natürlich: Das ist nicht der ideale Weg. Aber damit müssen wir leben. Denn wir müssen uns immer fragen: Was ist der Preis, wenn wir uns deshalb zurückziehen?

Will die Entwicklungshilfe nicht die Zivilgesellschaft stärken, damit mündige Bürger mehr Demokratie einfordern?

Ja, das ist Teil der „Empowerment“-Theorie. Aber was legitimiert uns, zu intervenieren? Das stößt immer mehr auf Widerstand. Früher waren Entwicklungshelfer als billige Arbeitskräfte willkommen. Heute werden sie oft nicht mehr gewollt und stoßen auf strenge Visabestimmungen. Nach dem Motto: Ihr lasst uns bei euch ja auch nicht hinein. Das ist ein neues Selbstbewusstsein: nicht mehr jedes Geld um jeden Preis. Es gibt ja nun Alternativen, durch das Engagement von China.

In China selbst lautet das Credo: Das Wichtigste ist, Wachstum zu schaffen, alles andere kommt im Schlepptau. Ist das falsch?

Das war auch die Überzeugung des Westens in der Nachkriegszeit. Aber in Afrika ist diese Strategie gescheitert. Man hat gesehen: Wir müssen in Vorleistung gehen, bei Gesundheitsversorgung, Bildung und Grundversorgung, damit überhaupt etwas in Gang kommt. Die Not war zu groß. In den Verschuldungskrisen der 90er-Jahre haben IWF und Weltbank von den Regierungen Einsparungen in nicht produktiven Sektoren gefordert. Also wurde in der Bürokratie gekürzt, was wichtig war. Aber es hieß auch: Lehrer kündigen, weniger Kinder einschulen, Krankenhäuser schließen. So wurde vieles wieder zerstört. Das hat Afrika nicht weitergebracht.

Ist die Bekämpfung von Ungleichheit auch so eine Vorleistung? Oder ist temporär steigende Ungleichheit eine Entwicklungsphase, durch die man gehen muss?

Ungleichheit ist bis zu einem gewissen Grad nicht schlimm, es hat sie immer gegeben. Aber Verelendung darf es nicht geben, etwa von ethnischen Minderheiten oder von Binnenflüchtlingen, die zurückbleiben, wenn man nicht aktiv gegensteuert.

Wie sehen Sie die im Vorjahr gegründete Entwicklungsbank der Schwellenländer?

Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich finde es gut, dass die Weltbank kein Monopol mehr hat.

Treibende Kraft sind auch hier die Chinesen. Was ist deren Motivation in Afrika?

Sie sagen: Wir bauen Infrastruktur, dafür wollen wir Verträge. Wie gut das für das Land ist, hängt vom Verhandlungsgeschick und vom Leidensdruck ab. Kongo hat ganze schlechte Deals abgeschlossen, andere bessere. Die Chinesen bauen in kurzer Zeit Straßen. Sie liefern also – nicht die beste Qualität, aber sie liefern. So haben sie sich Vertrauen erarbeitet. Das muss man würdigen. Die Bekämpfung von Armut kann eine Folge sein. Denn es macht einen Unterschied, ob eine asphaltierte Straße ins Dorf führt oder nicht. Ich halte die Kritik an den Chinesen oft für ideologisch verbrämt. Es geht ihnen nicht nur um Rohstoffe. Sie investieren auch in Ländern ohne natürlichen Reichtum. Es geht um Vernetzung, um mehr Gewicht in der Welt. Das ist durchaus eine breitere Strategie.

Heftige Kritik gibt es an der EU-Agrarpolitik: Wir schotten uns mit Importzöllen ab, exportieren aber hoch subventionierte Agrarprodukte. Damit lassen wir den Bauern in Afrika keine Chance. Stimmt das?

Die ärmste Gruppe der Entwicklungsländer könnte mittlerweile zollfrei in die EU exportieren. Aber die Kleinbauern sind dazu gar nicht in der Lage, und ihre Produkte erfüllen nicht unsere Qualitätsstandards. Unter der Konkurrenz von subventionierten EU-Produkten leiden sie aber noch immer.

Insgesamt flossen 2013 von allen Staaten 110 Mrd. Euro an Entwicklungshilfe – ein neuer Rekord. Geld ist also genug da?

Man muss es in Relation setzen: Das ist gerade einmal ein Drittel der österreichischen Wirtschaftsleistung. Der große Hebel ist das nicht.

Österreich allein zahlt nur 0,2 bis 0,3 Prozent des BIP und liegt somit am unteren Ende der Skala. Warum sind wir so knauserig?

Österreich war nie sehr international ausgerichtet. Politisch ist es ein Randthema. Andere besaßen früher Kolonien oder haben Sicherheitsinteressen. Die Schweiz zahlt 0,5 Prozent. Dort sitzen aber auch viele relevante Organisationen: die WHO, das Rote Kreuz und das UN-Flüchtlingshilfswerk.

Es gibt einen Brain-Drain: Die Klügsten wandern aus und finanzieren ihre Familie mit Überweisungen. Gut oder schlecht?

Ich kann vor allem für Äthiopien sprechen, wo ich 20-mal war. Dort werden die Überweisungen produktiv eingesetzt: Es werden Häuser gebaut, Geschäfte aufgemacht, Kinder in Schulen geschickt. Bildung hat dort einen hohen Stellenwert. Das wird Früchte tragen. Wenn man sich vor Ort Optionen aufbaut, ist der Druck, wegzugehen, nicht mehr so groß.

Wo sehen Sie Afrika in zwanzig Jahren?

Wir werden auch dann noch nicht auf Entwicklungshilfe verzichten können. Auf dem Land brauchen wir noch Zeit. Politisch wird sich vieles stabilisieren, hoffentlich auch in den fragilen Staaten, wie Somalia, Eritrea, Kongo und Burundi. Insgesamt wird es langsam, aber stetig aufwärts gehen. Länder wie Ruanda, Kenia und Tansania wachsen heute schon stärker. Mit dieser Entwicklung werden auch die Wirtschaftsflüchtlinge weniger werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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