Konjunktur: Warum die USA stärker wachsen

(c) EPA (Dennis M. Sabangan)
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Die EU befindet sich in einer instabilen Erholungsphase, für eine Trendumkehr auf dem Arbeitsmarkt ist das Wachstum zu gering. In den USA läuft es dagegen besser, schreibt das Wifo.

Wien. Das Gras im Garten des Nachbarn, meinen die Amerikaner gern, sei immer grüner. Sagen wollen sie damit, dass man immer glaubt, dem Nachbarn gehe es besser, auch wenn das objektiv betrachtet vielleicht gar nicht stimmt.

Doch diesmal scheint das Gras über dem Atlantik tatsächlich grüner zu sein. Zumindest wenn man dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) glaubt, das gestern in einer Kurzstudie das wirtschaftliche Wachstum in Europa und den USA untersuchte. Das Ergebnis: Den USA geht es besser, das Wachstum ist nachhaltiger.

„Die Länder der Europäischen Union befinden sich in einer instabilen Erholungsphase. 2015 dürfte das Wirtschaftswachstum mit ungefähr 1,5 Prozent deutlich unter dem der USA oder dem der Weltwirtschaft bleiben. Im Gegensatz zu den USA ist das Wachstum in Europa nach wie vor zu gering, um eine Trendumkehr der Arbeitslosigkeit zu bewirken“, lautet der Schluss der Experten.

BIP stagniert im Euroraum

Dabei habe sich die Alte Welt bis 2008 recht gut gegen die Neue behauptet, meint Christian Glocker, einer der Wifo-Forscher. „Bis dahin gab es eine sehr hohe Dynamik in Europa.“ Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf habe 1990 etwa 64 Prozent des Niveaus in den USA betragen, bis 2008 sei es auf über 65 Prozent gestiegen. „Der Wirtschaftseinbruch und die Schuldenkrise haben aber ein deutliches Auseinanderdriften gebracht.“

Wie deutlich, sieht man an der Entwicklung des realen BIPs seit 2008. Im Euroraum stagnierte das BIP seit dem Ausbruch der Finanzkrise (siehe Grafik). Im Gegensatz dazu wuchs die Volkswirtschaft in den USA deutlich, um elf Prozent. Umgelegt auf das BIP pro Kopf ist Europa 2014 mit knapp 62 Prozent des Niveaus der USA unter dem Wert aus dem Jahr 1990.

Warum das so ist? Das hänge mit mehreren Faktoren zusammen, die für die Expansion von hoch entwickelten Volkswirtschaften entscheidend seien: Forschungsquote, Anteil an Spitzen-Unis, Innovationen, Dynamik von Neugründungen. Auch seien die Importe in den USA zurückgegangen und damit das Leistungsbilanzdefizit kleiner geworden, erklärt Glocker. Und: „Europas Austeritätspolitik hat die konjunkturelle Entwicklung auch etwas gedämpft.“ Die fiskalpolitische Konsolidierung in Europa sei „etwas zu ehrgeizig“.

Dazu komme, dass Europa seine eigenen Ziele verfehle, die es in der Strategie „Europa 2020“ festgeschrieben habe und auch nicht die bestehenden Stärken forciere, etwa den Vorsprung bei Energieeffizienz, den Einsatz erneuerbarer Energien und bei Umwelttechnologien. „Allein der erste Punkt der Strategie Europa 2020 – die Erhöhung der Beschäftigungsquote der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren von derzeit 69 Prozent auf mindestens 75 – erscheint in Anbetracht der prekären Arbeitsmarktsituation in der EU in absehbarer Zeit unerreichbar“, schreibt das Wirtschaftsforschungsinstitut.

Mehr Geld für Forschung

Auch die Anhebung der Forschungs- und Entwicklungsquote auf drei Prozent des BIPs sei aus heutiger Sicht „unrealistisch“, obwohl vor allem sie zur Verbesserung der Bedingungen für F & E-Investitionen und für Investitionen im Privatsektor allgemein wichtig wäre. Das seien nur einige Gründe „für deutlich pessimistischere langfristige Prognosen für die EU als für die Vereinigten Staaten“.

Die Empfehlungen der Wirtschaftsforscher, um die Erholung zu stabilisieren und mit den USA mithalten zu können, sind teils altbekannt: Die Abgaben auf den Faktor Arbeit müssten gesenkt werden. Die Politik müsse günstige Rahmenbedingungen für eine effiziente volkswirtschaftliche Nutzung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit schaffen. Man müsse an dem Vorhaben festhalten, mehr Geld in Forschung und Entwicklung zu investieren. Im Güterbereich müssten Beschränkungen aufgehoben und abgeschottete Bereiche aufgebrochen werden. Als Beispiele nennt Glocker die Strombranche oder in Österreich Apotheker und Architekten.

Ein wesentlicher Punkt sei weiters der Einsatz von „nationalen Politikinstrumenten zur Vermeidung von Boom-Bust-Zyklen“, heißt es in dem Papier. Es gehe um „makroprudenzielle Politik“, meint Glocker. Also darum, dass mit den Instrumenten der Regulierung und der Aufsicht auf das gesamte Finanzsystem und seine Stabilität eingewirkt wird. Das müsse komplementär zur Geldpolitik, die ja in Europa kein nationales Instrument mehr sei, eingesetzt werden. (rie)

Auf einen Blick

Die Länder der EU befinden sich in einer instabilen Erholungsphase, urteilen Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Heuer dürfte das Wirtschaftswachstum mit etwa 1,5 Prozent deutlich unter dem der USA und der Weltwirtschaft bleiben. Generell entwickelt sich die Wirtschaft im Euroraum verglichen mit den USA seit 2008 enttäuschend. Das BIP stagnierte, in den USA wuchs es dagegen um elf Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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