„Das Tempo muss gedrosselt werden“

_ HANGZHOU CHINA SEPTEMBER 02 CHINA OUT An investor observes stock market at a stock exchange
_ HANGZHOU CHINA SEPTEMBER 02 CHINA OUT An investor observes stock market at a stock exchange(c) imago/China Foto Press (imago stock&people)
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Die Zeiten des extremen Wachstums in China seien vorbei, sagt Deloittes Chefökonom Xu Sitao. Jetzt gehe es um Nachhaltigkeit. Die Turbulenzen an den Börsen seien aber kein Problem.

Die Presse: Beunruhigen Sie die Turbulenzen an den chinesischen Märkten?

Xu Sitao: Nicht wirklich. Der Aktienmarkt spielt in China eigentlich eine sehr marginale Rolle, sowohl in Bezug auf das Konsumverhalten als auch in Bezug auf die Unternehmensinvestitionen, weil der Aktienmarkt nicht kreiert wurde, um Ressourcen zu verteilen. Es ging eigentlich darum, strauchelnde staatliche Unternehmen aufzufangen.

Was bedeutet das im Vergleich mit den westlichen Märkten?

In den USA haben wir den höchstentwickelten Aktienmarkt mit hoher Verschuldung. China ist das andere Extrem. In den USA investieren die Menschen durchschnittlich ein Drittel ihres Ersparten in Aktien. In China sind es zwischen sieben und zehn Prozent, und das auch nur im urbanen Raum.

Und was passiert mit dem Rest der Ersparnisse in China?

Der Rest fließt in Sparkonten, Immobilienanlagen oder bestimmte Vermögensanlageprodukte.

Apropos Immobilien: Gibt es eine Blase auf dem chinesischen Markt?

Ja und nein. Wenn Sie sich die großen Städte wie Peking oder Shanghai anschauen, wären Sie überrascht über die hohen Preise für Immobilien. Aber der Unterschied zwischen China und dem Westen ist, dass die Chinesen wenig bis gar nicht auf Kreditfinanzierung setzen. Die Menschen sehen Immobilien als Investition und Konsumgut – weniger als Spekulation.

Kaufen die Chinesen viel Gold?

Wir Chinesen sehen Gold kulturell als sehr wichtiges Instrument, um Vermögen zu bewahren. Aber nicht im selben Ausmaß wie etwa die Inder. Und heute kann man ja über Wertpapiere auch in Gold investieren, ohne es in physischer Form zu besitzen.

Wie haben die Chinesen auf die Abwertung des Yuan reagiert?

Die meisten Menschen kümmern sich nicht um den Unterschied zwischen 6,5 und 6,2 Yuan für einen Dollar. Aber natürlich: Wer seine Kinder zur Ausbildung ins Ausland schickt, spürt das. Genauso Firmen, die Teile im Ausland kaufen müssen. Ich glaube aber nicht, dass viele Menschen Dollar, Euro oder andere sogenannte Hartwährungen horten. Eher gibt es Verständnis dafür, dass unsere Währung zu hart ist und wir etwas tun müssen.

Wird noch weiter abgewertet?

Die Zentralbank peilt mittelfristig wohl eine Abwertung von weniger als zehn Prozent an. Die Währungsabwertung bringt mehr Ausgewogenheit ins System. Es ist wichtig zu realisieren: Wenn die Wirtschaft schwächelt, bringt eine starke Währung nichts Gutes. Europa hat das vor zwei Jahren am eigenen Leib erlebt. Die Bindung des Yuan an den US-Dollar hat uns große Probleme bereitet. Wir mussten mit dem Gedanken brechen, dass das ein dauerhaftes Arrangement sein kann. Die teilweise Freigabe des Wechselkurses am 11. August war deswegen ein guter Schachzug.

Auch Russland und Kasachstan haben ihre Währung freigegeben. Was steckt dahinter?

China ist zwar nicht allein mit dieser Loslösung vom Dollar, aber dennoch sehr anders als diese beiden Staaten. China hat massive Fremdwährungsreserven von 3700 Milliarden Dollar; mehr als alle Entwicklungsländer zusammen. China hat keine Inflation. Die Fremdwährungsverschuldung ist sehr gering. Und Peking hat noch viele Karten in der Hand.

Wie ist das Verhältnis zwischen China und Russland?

Die Länder ergänzen sich wirtschaftlich gut. China ist stark bei Produktion, Infrastruktur und Konsumprodukten. Russland ist stark bei Rohstoffen. Seit dem Einsetzen der Wirtschaftssanktionen Europas braucht Russland China als alternativen Kunden.

Wie sieht es mit dem Verhältnis Chinas zu Europa aus?

Diese beiden Märkte ergänzen sich sogar noch mehr. Europa ist Chinas größter Absatzmarkt. Zugleich übt Europas wirtschaftliches Entwicklungsmodell viel Reiz auf China aus. Die Vielfalt der Wirtschaft wird hier geschätzt. Generell sind die Menschen in Europa aufgeschlossener im Denken. Das menschliche Element des Wirtschaftens wird stärker gefördert. China sieht vor allem Staaten wie Deutschland und Österreich als Vorbilder. Sie haben eine starke Produktionsleistung – China kann davon viel lernen.

Wie werden sich die chinesischen Wachstumsraten entwickeln?

Die Frage, die man sich wirklich stellen muss, ist, ob wir ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben oder mehr Prozent wollen. Welchen Preis sind wir gewillt zu zahlen? Inflation, Schulden, inadäquate unternehmerische Voraussetzungen: Sind wir gewillt, all diese Zusatzkosten auf uns zu nehmen? Ich denke, derzeit ist die Antwort darauf nein. Besser wäre ein nachhaltiges, inklusives Wachstum. In der Vergangenheit haben wir viel Energie in die wirtschaftliche Aufholjagd gesteckt. Jetzt muss das Tempo gedrosselt werden.

ZUR PERSON

Xu Sitao ist Chefökonom der Beraterfirma Deloitte in China. Bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach wird er heute, Donnerstag, eine Keynote-Rede zum Thema „China: ohne Klischees – Chinas politische und ökonomische Strategien“ halten. [ Roßboth ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2015)

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