Die US-Notenbank habe durch ihren Zickzackkurs bei den Leitzinsen einen beträchtlichen Vertrauensverlust erlitten. Die erwartete Zinswende könnte erst 2016 kommen.
Washington/Frankfurt/Ag. Die Fed hat ihre verklausuliert angekündigte Zinswende verschoben – und damit für beträchtliche Unruhe auf den Märkten gesorgt. Am Freitag gaben die Aktienmärkte in Europa und den USA (siehe nebenstehenden Börsenbericht) teils deutlich nach, obwohl Aktienkurse von niedrig bleibenden Zinsen normalerweise profitieren.
Der Grund dafür liegt in einer enormen Verunsicherung, die die wankelmütige Haltung der US-Notenbank ausgelöst hat. Die Börsianer gehen davon aus, dass sich die Konjunkturaussichten auch in den USA in den vergangenen Wochen so eingetrübt haben, dass die Fed ihre mehrmals angedeutete erste Zinsanhebung seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in Angriff nehmen konnte. Nicht einmal für einen symbolischen Schritt reichte es. Der US-Leitzins bleibt also in der seit Längerem geltenden Spanne von null bis 0,25 Prozent.
Von Ökonomen gab es für das Nichthandeln der Fed teils herbe Kritik. Der deutsche Wirtschaftsweise Volker Wieland (der in der Greenspan-Ära selbst für die Fed gearbeitet hatte) meinte am Freitag, die US-Notenbank habe jetzt den geeigneten Zeitpunkt für eine erste Zinsanhebung verpasst. Nun wachse die Gefahr, dass es zu Übertreibungen oder Schwankungen bei den Vermögenspreisen (speziell bei amerikanischen Aktien) komme. Anleger würden nun nämlich in wachsender Zahl davon ausgehen, dass die amerikanische Zentralbank auch den nächstmöglichen Erhöhungstermin im kommenden Dezember ungenutzt werde verstreichen lassen und möglicherweise erst im kommenden Jahr an der Zinsschraube zu drehen beginne.
Die europäische Zentralbank EZB wird (wie berichtet) ihre Politik des lockeren Geldes bis mindestens September 2016 fortsetzen, sogar über eine mögliche Verlängerung oder Aufstockung der entsprechenden Programme wird nachgedacht.
Offenbar bereitet die wachsende Schwellenländerschwäche den Notenbankern dies- und jenseits des Atlantiks zunehmend Sorgen. Der österreichische Notenbankchef, Ewald Nowotny, hat vor wenigen Tagen im „Presse“-Interview gemeint, der konjunkturelle Abschwung in wichtigen Schwellenländern wie etwa Brasilien stimme die Euronotenbanker nachdenklich. Donnerstagabend hat auch Fed-Chefin Janet Yellen den Verzicht auf den ersten Zinsschritt mit den konjunkturellen Verwerfungen in den Schwellenländern, die auch auf die Industrieländer ausstrahlen, begründet.
Wieland ist da anderer Meinung: Die Wirkung von Schwellenländerkrisen auf die USA würde weit überschätzt, zumal die Amerikaner nicht sonderlich viel in die Region exportieren. Der deutsche Ökonom meint, der Zustand der US-Wirtschaft würde eher einen Leitzinssatz von 3,5 Prozent rechtfertigen als einen von null. Yellen sei dabei, einen ähnlichen Fehler wie ihre Vorgänger Greenspan und Bernanke zu begehen, die mit zu lockerer Politik die Internetblase zur Jahrtausendwende und die 2008 geplatzte US-Immobilienblase befeuert hätten.
Besonders kritisch sehen Ökonomen den Vertrauensverlust, den die Fed mit ihrer wenig stringenten Haltung provoziere: Man könne nicht eine Zinserhöhung mehr oder weniger ankündigen und sie dann einfach verschieben.
Die Zinsen dürften übrigens nicht nur später zu steigen beginnen, sondern auch langsamer als bisher erwartet anziehen. Das dürfte aber kein allzu großes Problem werden, weil die Inflationsrate nicht nur in Europa, sondern auch in den USA noch deutlich vom Zielwert entfernt ist. Die wichtigsten Notenbanken definieren die angestrebte Preisstabilität mit einer Teuerungsrate nahe zwei Prozent.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)