Gesucht: Aufkehrer für den VW-Scherbenhaufen

(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Porsche-Chef Müller ist Favorit für die Winterkorn-Nachfolge. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte löst eine Klageflut in den USA aus. Aber es gibt noch mehr Großbaustellen im Konzern.

Wien/Wolfsburg. Jetzt muss alles sehr schnell gehen, ohne neue Kämpfe und Komplikationen. Am Freitag wählt der Aufsichtsrat von Volkswagen in Wolfsburg einen vom Präsidium vorgeschlagenen Nachfolger für den zurückgetretenen Konzernchef Martin Winterkorn. Der Skandal um eine Software, die bei elf Millionen Dieselmotoren die ausgewiesenen Schadstoffwerte manipuliert, hat die schwerste Krise in der Unternehmensgeschichte ausgelöst: den „Höllensturz eines Weltkonzerns“, wie die „Süddeutsche“ schreibt.

Der Kandidat muss für die Porsches und die Piëchs passen, die beiden Familien, denen zusammen 51 Prozent des deutschen Autobauers gehören. Er muss den riesigen Laden mit seinen komplizierten Strukturen und strengen Hierarchien schon sehr gut kennen. Und es ist wohl auch nicht die Zeit, um mit jenen Traditionen zu brechen, die noch Identität stiften – wie der, dass an der Spitze des weltweit zweitgrößten Autobauers ein Techniker zu stehen hat.

Winterkorn soll Führungsjobs verlieren

Damit deutet alles auf Porsche-Chef Matthias Müller hin. Er hat den Sportwagenhersteller in Stuttgart als Cashcow integriert und zu neuen Absatzrekorden getrieben. Der „Konzernzögling“, wie er sich selbst nennt, hat einst als Werkzeugbauer bei Audi begonnen. Er hat einen guten und festen Draht nach Salzburg, zum Patriarchen Ferdinand Piëch, genießt aber als Porsche-Mann auch das Vertrauen des zweiten Großaktionärs.

In die engere Wahl kommen noch Audi-Chef Rupert Stadler und VW-Markenchef Herbert Diess. Beide absolute Topleute, aber mit kleinen Makeln: Diess kommt von BMW und ist erst seit Juli an Bord. Stadler ist Betriebswirt. Er hat Audi zwar zu spektakulären Höhen geführt, aber zuletzt hat die renditestarke Premiummarke an Fahrt verloren. Freilich: Favorit Müller wäre als 62-Jähriger kein Signal für einen Generationswechsel. Gut möglich, dass er eine Übergangslösung für die Krise bleibt und Kronprinz Stadler – er ist 52 – das Szepter etwas später übernimmt. Vorerst soll der Audi-Chef einem Medienbericht zufolge auch nicht in den Volkswagen-Vorstand wechseln. Stadler werde seinen Posten vorerst behalten, berichtete die Zeitschrift "Auto Motor und Sport" unter Berufung auf VW-Kreise am Freitag.

Für Martin Winterkorn hingegen neigt sich wohl auch seine Zeit als Vorsitzender der Dachgesellschaft Porsche SE dem Ende entgegen. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Konzernkreisen erfuhr, soll der 68-Jährige unter keinen Umständen an der Spitze der einflussreichen Unternehmens bleiben. Winterkorn ist derzeit noch Vorsitzender der Porsche Automobil Holding SE, der Muttergesellschaft der Volkswagen AG, die rund 51 Prozent der VW-Stammaktien hält sowie Aufsichtsratsvorsitzender der Audi AG. Ein Unternehmenssprecher wollte sich zu den Spekulationen nicht äußern, verwies am Freitagvormittag aber darauf, dass Winterkorn bei der Porsche SE weiterhin im Amt sei.

Himmelfahrtskommando

Wer auch immer nun ran muss: Es ist ein Himmelfahrtskommando. Der Skandal greift auf immer mehr Marken über: Audi, Skoda, Seat. In den USA, deren Behörden den Skandal publik gemacht haben, drohen bis zu 18 Mrd. Dollar an Strafe. Doch das ist nicht alles: Eine Zivilklage jagt die nächste. Viele gewiefte Anwälte reiben sich die Hände. Die Wut der VW-Käufer ist groß, sie fühlen sich betrogen und fordern Entschädigung. 37 Sammelklagen sind bereits bei US-Gerichten eingegangen. VW wappnet sich mit Staranwälten, die sich mit Katastrophen auskennen: Sie haben schon den Ölkonzern BP nach der Explosion der Deepwater Horizon 2010 vertreten.

Auch die italienische Justiz ermittelt wegen Betrugs. In Australien oder Südkorea stehen Sonderprüfungen an. Aber das Epizentrum des Bebens dürften wohl die USA bleiben.

Dass der amerikanische Markt Kummer bereitet, ist man in Wolfsburg freilich schon gewohnt. VW kommt dort nicht vom Fleck, während die Hersteller vor Ort, aber auch Toyota und die deutschen Premiumanbieter BMW und Mercedes davonrauschen. Für das Land der Straßenkreuzer und Geländewagen hat VW nicht das richtige Angebot – was sich bei den aktuell niedrigen Spritpreisen besonders rächt. Die Folge: mickrige zwei Prozent Marktanteil für die Marke VW. Eine „Katastrophenveranstaltung“, wie Betriebsratschef Bernd Osterloh schon im Vorjahr konstatiert hat, damals vergleichsweise hoch gegriffen.

China als Klumpenrisiko

Ein Unglück kommt selten allein. In Amerika zu schwach, in China zu stark: Die Erfolge im Reich der Mitte, wo der Konzern mit fast 40 Prozent Marktführer ist, entpuppen sich nun als gefährliches Klumpenrisiko. Die konjunkturelle Schwäche auf dem weltweit größten Automarkt macht VW stärker als der Konkurrenz zu schaffen. Schon länger bergab geht es auf dem einstigen Hoffnungsmarkt Südamerika, wo sich die Wolfsburger auf ihren Lorbeeren ausgeruht haben.

Diese Schwächen hatte Piëch angeprangert und Winterkorn angelastet. Im April verlor der Patriarch den Machtkampf gegen seinen bisherigen Ziehsohn. Nach dessen unrühmlichem Abgang mag er wohl trotz allem eine gewisse Genugtuung empfinden – der „Alte“ hat nun in den Augen der Öffentlichkeit doch noch recht behalten.

Der Neue an der Spitze aber wird seine Titanenaufgabe nur bewältigen können, wenn er anders als sein Vorgänger führt – weniger zentralistisch, indem er Macht an die Regionen und Markenchefs abgibt. Kontrollfreak Winterkorn hatte noch zuweilen die Lackdichte an Fahrzeugen nachgemessen – und den Abgasskandal doch nicht verhindern können. Sein Nachfolger muss sich sein Gehalt sehr schwer verdienen. Aber immerhin: Es ist das höchste aller DAX-Konzerne – es lag im Jahr 2014 bei stolzen 16 Millionen Euro. (ag./gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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