Experten rechnen mit Kosten bis zu 47 Milliarden Euro. In Österreich sind 363.400 Modelle von den Manipulationen betroffen.
Wien/Wolfsburg. Es war eine ziemliche Bombe, auf die die Redakteure des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vor einem Jahr gestoßen sind – nur haben sie es offenbar nicht bemerkt oder sind der Information nicht nachgegangen. In einer Geschichte über manipulierte Autoabgastests in der Ausgabe vom 29. September 2014 findet sich auch folgender Satz: „Bordcomputer der neuesten Generation können erkennen, wenn sich das Auto auf einem Rollenprüfstand befindet, und daraufhin in einen optimierten Testmodus schalten. Für die Prüfer ist es unmöglich, solche Manipulationen zu erkennen.“
Was VW gemacht hat, war in der Branche offenbar bekannt. Und es wird auch – spätestens auf jeden Fall nach dieser „Spiegel“-Geschichte – ganz oben im Konzern bekannt gewesen sein, beim ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, gegen den jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Der Betrug bei den Abgastests wird Volkswagen auf jeden Fall weitaus teurer kommen als die bisher zurückgestellten 6,5 Milliarden Euro. Diese Summe sei nur für technologische Lösungen und Serviceleistungen vorgesehen. Möglicher Schadenersatz, Anwaltshonorare und andere Kosten kämen da noch dazu, soll Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch laut Fachblatt „Automobilwoche“ bei einer Managerversammlung gesagt haben.
Die Landesbank Baden-Württemberg schätzt den Gesamtschaden auf bis zu 47 Mrd. Euro. Dabei gehen die Analysten allein in den USA von 16 Mrd. Euro für Strafzahlungen und weiteren zehn Mrd. Euro an Kosten für den Rückkauf beanstandeter Fahrzeuge aus.
Dass elf Millionen Pkw aus dem VW-Konzern (VW, Audi, Skoda, Seat) betroffen sind, relativierte der neue Vorstandsvorsitzende Matthias Müller. Die Software sei nur in einem Teil der Wagen aktiviert. „Wir rechnen deshalb damit, dass die Zahl der tatsächlich betroffenen Fahrzeuge letztlich geringer sein wird“, so Müller in einer Mitteilung an Konzernmanager.
In Österreich sind laut VW 363.400 Fahrzeuge mit der manipulierten Software verkauft worden. Nach Modellen: 180.500 VW-Pkw, 24.400 VW-Nutzfahrzeuge, 72.500 Audi, 31.700 Seat und 54.300 Skoda. In den kommenden Wochen soll mit dem Rückruf begonnen werden. Man werde die Kunden informieren, dass das Abgasverhalten ihres Fahrzeuges nachgebessert werden müsse.
Der Aktionsplan sieht vor, dass die betroffenen Marken des Volkswagen Konzerns im Oktober den zuständigen Behörden die technischen Lösungen und Maßnahmen vorstellen. Alle betroffenen Konzernmarken werden nationale Internetseiten schalten, wo sich Kunden über den aktuellen Stand der Dinge fortlaufend in Kenntnis setzen können.
Debatte über Diesel
In Brüssel beriet am Dienstag die EU-Kommission über den Dieselskandal. EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska traf am Abend mit VW-Markenchef Herbert Diess zusammen. Der Skandal wird auch Auswirkungen auf die Zulassung von Pkw in der EU haben. Sie soll vereinheitlicht werden. Ab 2017 werden auch, wie berichtet, realistischere Abgas- und Verbrauchstests vorgeschrieben.
Mit der Debatte über erhöhte Abgaswerte geht auch eine über die Gefährlichkeit und die Bevorzugung von Diesel einher. In Österreich und Deutschland fordern Verbände, dass die Steuererleichterungen gestrichen werden. Diesel stießen zwar weniger klimaschädliches Kohlendioxid aus, dafür mehr Ruß und Stickoxide.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)