Bolivien: Der lange Kampf um das kostbare Nass

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Das südamerikanische Land wehrte sich 2000 gegen die Wasserprivatisierung und wurde zur Ikone der UN-Entwicklungspolitik.

Vor 15 Jahren errangen die Bolivianer einen Sieg im Krieg gegen die Wasserprivatisierung. Evo Morales, einst Krieger und heute Präsident, hat Millionen Menschen das Wasser garantiert. So ist das sozialistische Bolivien Vorbild für die UN-Entwicklungsziele, die 2015 überall erreicht sein sollten.

„Unsere Lebensgrundlage war zerstört“, sagt Oscar Olivera und deutet auf die Plaza Principal, den Hauptplatz von Cochabamba. „Mit der Privatisierung hatten sie unser wichtigstes Gemeingut zu einem Geschäft gemacht“, erinnert sich der ältere Mann mit grauer Lederkappe und schlabberigem Hemd, der heute noch aussieht wie ein Guerillero.

15 Jahre sind vergangen, seit der Schuhmacher und Gewerkschaftsführer Olivera hier an der Seite tausender wütender Bürger Steine warf. Soldaten feuerten mit Maschinengewehren zurück. „La guerra del agua“, der Wasserkrieg, markierte den weltweit vielleicht ersten gewalttätigen Konflikt um die Verteilung von Wasser. Die Einwohner funktionierender Wohlfahrtsstaaten wie Österreich brauchen sich kaum um Wasser zu sorgen, in Ländern wie Bolivien aber ist es Mangelware. Nicht einmal jeder zweite Bolivianer hat sauberes Wasser zum Waschen oder Kochen, mehr als jeder zehnte kein Trinkwasser.

Oliveras 600.000-Einwohner-Stadt Cochabamba war nach der Regierungsstadt La Paz schon die zweite, in der Boliviens Präsident Hugo Banzer 1999 die Wasserversorgung privatisiert hatte. Dies war die Bedingung der Weltbank gewesen, damit das klamme Bolivien an neue Kredite kommen konnte. Die Ökonomen aus Washington drückten diese Idee damals vielen armen Ländern auf: Durch betriebswirtschaftliches Denken der Wasserversorger würde klug gewirtschaftet, so der Gedanke. In Cochabamba erhielt eine Tochterfirma des US-Anlagenbaukonzerns Bechtel das Konzessionsrecht. Aber kaum waren die Verträge unterschrieben, schossen die Preise um bis zu 300 Prozent nach oben. „Wir Durchschnittsleute mussten ein Viertel unseres Einkommens für Wasserrechnungen bezahlen. Damit waren wir um 200 Jahre zurückgeworfen, damals schuf die spanische Krone unsere Edelmetalle aus dem Land“, so Olivera. Was im Jänner 2000 mit Demonstrationen begonnen hatte, spitzte sich im Frühjahr zu. Im ärmsten Land Lateinamerikas verhängte Präsident Banzer das Kriegsrecht.

Vier Monate lang demonstrierten die Menschen, einer starb, Hunderte wurden verletzt, bis die Offiziellen von Bechtel fluchtartig das Land verließen und die Regierung die Privatisierung rückgängig machte. „Das war Boliviens Sieg der einfachen Menschen gegen die Ausbeutung durch die internationalen Organisationen und Betriebe“, sagt Oscar Olivera heute.

Boliviens Fall sorgte auch anderswo für einen Umschwung. Proteste gegen Pläne zur Wasserprivatisierung, die für den Marktglauben der 1990er-Jahre üblich waren, organisierten sich in Ghana, Südafrika, Indien und den Philippinen. Heute bekommen gut 90 Prozent der Menschen weltweit ihr Wasser von nichtprivaten Versorgern. Im Jahr 2015 laufen die Fristen der UN-Entwicklungsziele aus. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon darf sich nur teilweise freuen, viele wurden auf bemerkenswerte Weise verfehlt. Dazu gehört allem voran die Versorgung mit Trink- und Abwasser. 1,8 Milliarden Menschen auf der Welt trinken täglich verschmutztes Wasser, 2,5 Milliarden können sich nicht sauber waschen. Seit 2000 sind durch Hygienekrankheiten zehn Millionen Kinder gestorben. Keiner der Entwicklungsindikatoren hinkt weiter zurück.

Wenn die UN-Diplomaten heute, bei Ablaufen der Frist, nach positiven Länderbeispielen suchen, kommen sie gern auf Bolivien zu sprechen. Jenes Land also, das vor 15 Jahren gegen die Auflagen der den Vereinten Nationen zugehörigen Weltbank aufbegehrte. Die Trinkwasserversorgung erreichte 1990 nicht einmal die Hälfte aller Menschen, heute sind trotz Bevölkerungswachstums 83 Prozent abgedeckt.

Der wahre Sieger war Evo Morales, ein linker Kokabauer mit indigener Herkunft, der an der Seite Oliveras kämpfte. Ihm ebneten die Unruhen den anfangs holprigen Weg in den Präsidentenpalast von La Paz. Seit 2006 regiert Morales, vergangenen Oktober wurde er mit einer absoluten Mehrheit zum zweiten Mal wiedergewählt.

Erst diese Woche bekam der sozialistische Präsident Staatsbesuch von seinem österreichischen Amtskollegen Heinz Fischer, dem er mit viel Pathos den höchsten bolivianischen Orden verlieh. Hintergrund war Morales' Notlandung am Flughafen Wien im Sommer 2013, nachdem ihm viele andere Staaten das Überflugsrecht verweigert hatten, da Whistleblower Edward Snowden an Bord der aus Moskau gestarteten Präsidentenmaschine vermutet wurde. Fischer besuchte ihn damals in Schwechat. Bei der aktuellen Visite ging es vorrangig um die Zusammenarbeit der Länder im Infrastrukturbereich.

Morales, ein gedrungener Typ mit einfachem Vokabular, ist beliebter als seine Vorgänger, weil er als einer der wenigen die Probleme der Bolivianer kennt und ernst nimmt. „Wasser ist Leben“, sagt er in scharfem Ton. Aus seiner Kindheit weiß er zu berichten: „Als kleiner Junge hatten wir kein Trinkwasser im Haus.“ Die Ironie des kolonialen Luxus, den der linke Präsident nun genießen darf, unterdrückt Morales mit seiner Marschroute. „Wir wollen 100 Prozent aller Bolivianer mit sicherem Wasser versorgen.“

Weltweit verkörpert heute niemand diesen Kampf so wie er. „Als eine meiner ersten Amtshandlungen habe ich dieses transnationale Unternehmen aus dem Wassernetz von La Paz vertrieben“, prahlt Morales. „Dann haben wir eine neue Verfassung verabschiedet und das Recht auf Wasser festgeschrieben. Und wir haben ein Wasserministerium gegründet.“ Auch auf internationaler Bühne hat sich Morales einen Ruf gemacht. Vor den Vereinten Nationen haben seine Gesandten ein Menschenrecht auf Wasser forciert, das die UN-Generalversammlung 2010 annahm. Derzeit arbeitet die Regierung am vierten nationalen Wasserverteilungsprogramm „Mi Agua“ (übersetzt: mein Wasser). Unter der internationalen Aktivistengemeinde hat das Land Ikonenstatus. Wer aber die Fortschritte der letzten Jahre nicht kennt, wird über die Zustände vielerorts erschrecken. In ländlichen Regionen haben kaum sechs von zehn Bolivianern Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Durch die Euphorie nach dem Wasserkrieg schossen zudem Bürgerinitiativen wie Pilze aus dem Boden – nur oft ohne das Geld für die nötigen Investitionen. Rund 28.000 Wasserversorger zählt Bolivien heute. Diese Vielfalt erschwert die Hilfe von Regierung und Entwicklungshelfern. Keine guten Bedingungen angesichts der künftigen Herausforderungen. Der Klimawandel macht sich in Bolivien schon bemerkbar. Gleichzeitig schießt die Wassernachfrage durch Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in die Höhe.

Der Sieg, den die Bolivianer vor 15 Jahren in Cochabamba feierten, fühlt sich nicht für alle wie einer an. Oscar Olivera hat der Euphorie abgeschworen. Als der US-Konzern Bechtel das Land verlassen hatte, rissen die Demonstranten vom zurückgelassenen Unternehmenssitz das alte Schild herunter. Seitdem organisiert die lokale Regierung die Wasserversorgung, im Beirat sitzen auch Bürgervertreter. „Das ist aber alles korrupt. Der Versorger von heute dient dem Präsidenten dazu, seinen Freunden Jobs zu verschaffen.“

Die Wasserpreise in Cochabamba sind heute auf dem Niveau vor der Privatisierung. Aber noch immer werden zuerst die reichen Gegenden erreicht, die näher an den Bergen liegen, von wo das meiste Wasser herunterfließt. Die ärmeren Viertel müssen sich Kanister an der Straße kaufen. „Es könnte so viel besser laufen. Aber Evo Morales hat der Revolution den Rücken gekehrt. Die Bürger sollten lieber ganz ohne die Regierung über ihr Wasser bestimmen. Aber das will der Präsident nicht.“ ?

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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