Deutschland: War Politik bei Autoindustrie blind?

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Immer öfter werden Vorwürfe laut, dass die deutsche Regierung von dem Abgasschwindel bei VW gewusst habe. Dies ist zwar unwahrscheinlich. Sie schaute bei Indizien aber weg.

Wien. Die ersten Vorwürfe kamen bereits wenige Tage nach dem Wochenende auf, an dem von der US-Umweltschutzbehörde EPA vor rund drei Wochen aufgedeckt wurde, dass VW Abgastests mittels einer speziellen Software manipuliert hat, Vorwürfe gegen die deutsche Regierung, von den Vorkommnissen gewusst, jedoch nicht gehandelt zu haben. So wurde schon Ende September die Antwort der deutschen Regierung auf ein Mahnschreiben der EU-Kommission publik, in dem es heißt, dass es seit dem Herbst 2014 Indizien gebe, dass auch modernste Dieselmotoren mitunter Stickoxidemissionen aufweisen, die über den Grenzwerten liegen. Von Regierungsvertretern wie Verkehrsminister Alexander Dobrindt hieß es damals jedoch, dass man wie alle erst durch die EPA-Enthüllungen von dem Skandal erfahren habe.

Abweichungen waren bekannt

Inzwischen mehren sich jedoch entsprechende Vorwürfe – und sie werden auch immer konkreter. So erklärte der Abteilungsleiter für Umwelthygiene im deutschen Umweltbundesamt Anfang der Woche in einer Sendung des ARD, dass die Regierung seit Langem gewusst habe, „dass das, was auf der Straße passiert, nicht mit dem übereinstimmt, was im Testbetrieb passiert“. Das heißt, dass die Regierung durchaus Kenntnis von den Abweichungen zwischen Laborwerten und Messungen gehabt habe. Dies wird in einer schriftlichen Antwort der Regierung auf den Fernsehbericht auch eingeräumt. Diese Abweichungen seien jedoch „kein Beleg für Manipulationen“ gewesen.

Doch auch über den konkreten Verdacht von Manipulationen sollen Regierungsvertreter bereits seit Jahren zumindest von dritter Seite informiert worden seien. So zitierte die „Welt“ am Mittwoch aus einem Stichwortprotokoll der deutschen Umwelthilfe, das die Umweltschützer im Februar 2011 nach einem Gesprächstermin mit Vertretern des Verkehrsministeriums erstellt hatten.

Darin heißt es, dass es bei einem Tagesordnungspunkt um das Thema CO2-Messung gegangen sei: Und dabei sei die „Zielrichtung die Vermeidung von zu starker Beeinflussung des Messzyklus bei der Typzulassung von Fahrzeugen, besonders Zykluskennung“. Unter Zykluskennung versteht man jenes von VW verwendete illegale System, dass einen Abgastest erkennt und dann zusätzliche Systeme aktiviert, um die Abgase zu reduzieren, die im Normalbetrieb nicht aktiv sind. Ein Vertreter des Verkehrsministeriums habe daraufhin gemeint, dass dieses Problem im Ministerium bekannt sei.

Die Umwelthilfe will in der Folge dem Ministerium auch eindeutige Hinweise über Modelle gegeben haben, bei denen die Abschaltautomatik eingesetzt werde. Konkret habe man den VW Passat genannt, der auch jetzt massiv von den Manipulationen betroffen sei.

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums wies die Vorwürfe, dass die Regierung von den Manipulationen gewusst habe, oder auch, dass sie Auffälligkeiten nicht energisch genug nachgegangen sei, auch am Mittwoch wieder zurück. Dennoch bleiben bei vielen Beobachtern zumindest hinsichtlich Letzterem starke Zweifel.

Regierung industriefreundlich

So fiel die deutsche Bundesregierung in der Vergangenheit nämlich meist durch eine eher industriefreundliche Politik auf. Dies war schon Mitte der Nullerjahre so, als die EU erstmals verpflichtende Höchstgrenzen für den Ausstoß von CO2 eingeführt hat. Damals war nicht nur das Lobbying der großen deutschen Autokonzerne in Brüssel auffällig – auch der deutsche Vertreter in der EU-Kommission sowie die Bundesregierung in Berlin setzten sich vehement für eine Abschwächung der ursprünglich angedachten Regeln ein.

Und auch nun scheint Berlin bei einer Verschärfung des Testzyklus für die Ermittlung der Verbrauchswerte auf der Bremse zu stehen. So wurde Ende September publik, dass Deutschland erreichen will, dass der neue Zyklus erst im Jahr 2021 und nicht schon im Jahr 2017 eingeführt wird.

Bei beiden Themen geht es zwar um den Verbrauch und somit den CO2-Ausstoß, der ja kein Schadstoff ist. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass Behörden und Regierung in Deutschland auch bei Abgasen wie Stickoxiden oder Feinstaub Regelungen eher im Sinn der Industrie auslegen.

Dies darf angesichts der Bedeutung der deutschen Autoindustrie auch nicht verwundern. So sind nicht nur über 800.000 Menschen in der Branche beschäftigt, sie erwirtschaftet mit 385 Mrd. Euro pro Jahr auch mehr als jeder andere Industriezweig. Und 190 Mrd. davon gehen in den für die Volkswirtschaft so wichtigen Export.

Im konkreten VW-Skandal erklärte der neue Konzernchef, Matthias Müller, am Mittwoch, dass die Rückrufaktionen im Jänner 2016 beginnen werden und wohl das ganze Jahr dauern werden. Der VW-Aufsichtsrat machte indes wie erwartet den bisherigen Finanzvorstand, Hans-Dieter Pötsch, zum neuen Vorsitzenden.

LEXIKON

Mehr zum Thema: Seite 17Die Autoindustrie ist vom Umsatz die größte Industriebranche Deutschlands. Mit 385 Mrd. Euro pro Jahr wird nicht nur ein höherer Betrag erwirtschaftet als das österreichische BIP beträgt (330 Mrd. Euro), sondern es werden auch andere große Branchen wie der Maschinenbau (244 Mrd. Euro) oder die Nahrungsmittelindustrie (167 Mrd.) deutlich übertroffen. Bei den Arbeitsplätzen muss sich die Autoindustrie mit 812.000 Jobs zwar dem Maschinenbau mit 1,1 Mio. und der Metallerzeugung mit 858.000 Jobs geschlagen geben. Zählt man jedoch den Autohandel samt Reparaturen hinzu, kommt man auf fast sieben Mio. Arbeitsplätze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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