Der Krieg in Frankreichs Firmen

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Air France war keine Ausnahme: Brutale Attacken auf Manager haben Tradition. Der französische Staat ließ die Rebellen bisher meist gewähren. Doch nun kippt die Stimmung.

Wien/Paris. Ein Personalchef, dem aufgebrachte Arbeiter das Hemd vom Leib reißen und der über einen hohen Metallzaun flüchten muss, um sich vor dem wütenden Mob in Sicherheit zu bringen: Diese Bilder aus der Konzernzentrale von Air France bei Paris sind Anfang dieser Woche rund um den Globus gegangen. Sie waren verstörend genug, um für eine ungewohnte Waffenruhe in Frankreich zu sorgen: Politiker und Unternehmer machen sich nun Sorgen um das Image des Landes, und sogar Gewerkschaften verurteilen die Übergriffe der Arbeiter, die gegen Sparpläne der einst staatlichen Fluggesellschaft rebelliert haben.

Nur Jean-Luc Mélenchon, Gründer der Linkspartei, zuckt wie gewohnt mit den Schultern: „Was sollen sie den sonst machen?“ Die Arbeiter seien ja „selbst Opfer einer Gewalt, die man nicht sieht“. Das freilich war bis zum Schock vom Montag eine durchaus mehrheitsfähige Meinung. Dass Manager etwa als Geiseln genommen werden, um Kündigungen zu verhindern oder höhere Abfindungen bei Betriebsschließungen zu erzwingen, kommt in Frankreich seit Anfang des vorigen Jahrhunderts immer wieder vor. Nach der Finanzkrise entwickelte sich Bossnapping geradezu zum Volkssport.

Betroffen waren etwa Sony, 3M, Caterpillar, Goodyear und La Poste. Dieser Einsatz von Gewalt wird von 45 Prozent der Franzosen gutgeheißen. Der Staat ließ bisher meist Milde walten: Politiker lobten durch Erpressung erzielte Einigungen, Aggressoren blieben ungeschoren. Aber diesmal kippt die Stimmung. Die „Revolutionäre“ dürften zu weit gegangen sein.

Gift, Bomben und Piraterie

Skrupel hatten sie freilich schon früher nicht, wie Beispiele zeigen.
• Im Jahr 2000 kippten Beschäftigte eines Textilbetriebs 5000 Liter Schwefelsäure in einen Fluss. Davon inspiriert, drohte man später in sechs weiteren Firmen mit ähnlichen Aktionen – zuletzt bei einer insolventen Transportfirma, deren Arbeiter 8000 Liter giftige Kraftstoffzusätze in einen Nebenfluss der Seine schütten wollten.
• 2005 kaperten Seeleute ein Schiff der Korsika-Fähre SNCM, um eine Privatisierung der konkursreifen staatlichen Reederei zu verhindern. Erst Marinesoldaten und Sondereinsatzkräfte konnten es aus den Händen der gewerkschaftlichen „Piraten“ befreien.
• 2009 drohten Fabrikarbeiter eines Autozulieferers, ihr Werk mit Gasflaschen in die Luft zu sprengen, wenn ihnen die ehemaligen Hauptkunden Renault und Peugeot nicht hohe Sonderabfertigungen zahlen würden. Die Erpressung gelang, das Beispiel machte Schule: Bei einem Netzwerkausrüster und einem Maschinenbauer wurde es erfolgreich wiederholt.
• Ebenfalls 2009 stürmten Hafenarbeiter in Marseille das Büro ihres Chefs und verwüsteten es mit Äxten. Im gleichen Jahr zerrten Streikende einer Batteriefirma in Auxerre ihren Boss aus seinem Büro auf die Straße und zwangen ihn, an ihrer Demo teilzunehmen.

Fast schon zur Folklore gehört es, Manager mit Eiern und Schuhen zu bewerfen. Der tiefere Grund für die verhärteten Fronten: Es gibt in Frankreich, anders als in Österreich oder Deutschland, keine Tarifpartner, die sich friedlich über Kollektivverträge oder Sozialpläne einigen. Die meisten Gewerkschaften wollen auch keine Verhandlungen mit den Arbeitgebern, die sie als ihre Feinde ansehen. Mitbestimmung und damit Mitverantwortung lehnen sie ab. Damit bleibt oft nur der Arbeitskampf, um Forderungen durchzusetzen – wenn nötig auch mit Gewalt.

Freilich schrecken die Franzosen damit Investoren aus dem Ausland ab. Die Angst vor rabiaten Rebellen schadet der Wettbewerbsfähigkeit und verzögert die Sanierung angeschlagener Unternehmen, oft bis zu deren Ruin. Das dämmert auch vielen Politikern. Das Modell der Sozialpartnerschaft schwebt ihnen vor Augen. Aber die soziale Kluft ist wohl zu groß, um es auf Frankreich zu übertragen. Ironie der Chronologie: Zeitgleich mit dem Air-France-Chaos ist ein Buch über die Tugend des sozialen Dialogs erschienen. Schon das Vorwort rühmt die Kultur der Verhandlungen in privaten Unternehmen. Sein Autor: François Hollande, Président de la République.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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