Wirtschaftsnobelpreis: Ein Preis für den Mann mit der Lupe

Der Gewinner ist: Angus Deaton. Das Nobelpreiskomitee bei der gestrigen Verkündung des Wirtschaftsnobelpreises.
Der Gewinner ist: Angus Deaton. Das Nobelpreiskomitee bei der gestrigen Verkündung des Wirtschaftsnobelpreises.(c) REUTERS (TT NEWS AGENCY)
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Der Schotte Angus Deaton hat die große, graue Makrotheorie mit den Daten zu einzelnen Haushalten versöhnt - und damit die Ökonomie auf eine neue Basis gestellt.

Wien/Stockholm. Ist er nun glücklicher? Ehre und Ruhm wären gute Gründe, das Geld aber kaum. Denn als Professor der US-Eliteuniversität Princeton verdient Angus Deaton wohl über 75.000 Dollar pro Jahr – jener Schwelle, ab der das Glück stagniert. Da fetten die umgerechnet rund 860.000 Euro, die der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften von der Schwedischen Reichsbank erhält, die Glücksbilanz nicht mehr auf. Das lässt sich aus einer Studie folgern, die den Schotten vor fünf Jahren einem breiten Publikum bekannt gemacht hat.

Für diese kuriose Fingerübung wurde der 69-Jährige freilich nicht geehrt. Aber sie erklärt viel: Damals waren sich Daniel Kahneman, der den hohen Preis schon 2002 erhalten hatte, und sein Koautor Deaton nicht zu schade, hunderttausende Amerikaner zu befragen, wie zufrieden sie gerade sind. Hinter dem mühsam zusammengeklaubten Ergebnis stand nicht einmal eine richtige Theorie: Warum die Schwelle gerade bei 75.000 Dollar liegt, blieb im Dunkeln.

Solche Methoden wären vor wenigen Jahrzehnten schwer vorstellbar gewesen. Da entwarfen Berühmtheiten von Keynes bis Friedman das große Bild, wie Konsum, Investitionen, Zinsen und Staatsausgaben mit dem Wachstum zusammenhängen, und prüften ihre Theorien anhand aggregierter Daten aus nationalen Statistiken. Heraus kam ein endloser Streit der Schulen. Den gab es schon zu Zeiten von Alfred Nobel, der die Ökonomie nicht als Wissenschaft anerkannte – weshalb die Auszeichnung kein „echter“ Nobelpreis ist.

Heute fangen Ökonomen ganz unten an, beim Verhalten des einzelnen Wirtschaftssubjekts, und summieren dann mit viel Vorsicht, um das große Ganze zu erklären. Für diesen Form der „Mikrofundierung der Makroökonomie“ steht Deaton Pate. „Um eine Wirtschaftspolitik zu entwerfen, die das Wohlergehen fördert und die Armut reduziert, müssen wir zuerst die individuellen Konsumentscheidungen verstehen“, schreibt das Komitee in seiner Begründung. „Mehr als jeder andere hat Angus Deaton dieses Verständnis verbessert“, indem er „Brücken zwischen Theorie und Daten“ baut.

Das Werkzeug für die Zunft

Ein gutes Beispiel dafür ist das „Deaton-Paradox“. Wie teilen Wirtschaftssubjekte ihr Einkommen auf Konsum und Sparen auf? Sie folgen nicht dem Auf und Ab der Konjunktur, sondern rechnen mit einem Lebenseinkommen und glätten die Kurve, lautete die gängige These seit den 1950er-Jahren. Das zeigten auch die aggregierten Daten. Nun wies Deaton nach: Der fiktive „repräsentative Konsument“ mit mittlerem Einkommen müsste, wenn er rational ist, den Konsum im Gegenteil stärker schwanken lassen als das Einkommen. Ist also die Theorie falsch, der Konsument irrational? Mitnichten, zeigte Deaton: Die einzelnen Individuen, deren Einkommen steigt oder sinkt, handeln ganz anders als der fiktive Durchschnittsmensch. Blickt man wie durch die Lupe auf sie und aggregiert die Ergebnisse danach, passen Theorie und Daten zusammen. Das Paradoxon löst sich auf.

Das Thema Konsum ist der rote Faden im vielfältigen Werk des Forschers. Sein „Nachfragesystem“ aus den 1980er-Jahren ist bis heute ein Standardwerkzeug der Zunft. Damit schätzen Ökonomen etwa ab, wie sich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für bestimmte Produkte auf Konsum und Verteilung auswirkt. In jüngerer Zeit hat sich Deaton vor allem mit Konsumdaten aus Haushaltsbefragungen beschäftigt, die Armut und ihre Ursachen in Entwicklungsländern oft viel besser verstehen lassen als Daten über das Einkommen. So kann man etwa Kaufkraft auch dort berechnen, wo es keine lokalen Preisindizes gibt. Auch das Wohlstandsniveau zweier Länder ist damit besser vergleichbar als mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Sogar die Diskriminierung von Frauen kann man aus solchen Erhebungen herauslesen: Bekommt eine Paar ein Kind, reduziert es den Konsum von Produkten wie Mode, Tabak und Alkohol. Ist dieser Rückgang nach der Geburt einer Tochter geringer als bei einem Buben, werden ihr offenbar Ressourcen vorenthalten.

Deatons Lupe reicht also bis ins Privatleben – auch in sein eigenes. Mit dem Preis gerechnet hat er nicht. Aus dem Bett habe ihn die Entscheidung im zeitverschobenen Stockholm geworfen: „Meine Güte, ich war ganz schön verschlafen!“

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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