Prognose: Klimawandel macht 100 Millionen Menschen bitterarm

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Die Folgen der Erderwärmung treffen die Ärmsten am stärksten. Bis 2030 fallen 100 Millionen in Afrika und Südasien wieder unter die absolute Armutsgrenze, sagt die Weltbank. Sie empfiehlt hitzeresistentes Saatgut und Deiche.

Wien/Washington. Auf ein hehres Ziel haben die Vereinten Nationen ihre Mitglieder im September eingeschworen: Die extreme Armut soll bis 2030 weltweit Geschichte sein. Damit es zumindest deutlich in diese Richtung geht, muss die Wirtschaft in den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas weiter stark wachsen und dabei Afrika mitziehen. Mut macht, dass die Halbierung der Zahl der „absolut“ Armen (mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag) gelungen ist, vor allem durch den Aufstieg Chinas und Indiens. Zweifel, ob sich der Pfad fortsetzen lässt, weckt die aktuelle Schwächephase Chinas. Aber da ist noch ein Faktor, der den schönen Absichtserklärungen einen Strich durch die Rechnung machen kann: der Klimawandel.

Bis 2030 werden durch die Folgen der Erderwärmung 100 Millionen Menschen wieder in die bittere Armut zurückfallen, vor allem in Schwarzafrika und Indien, sagt die Weltbank in einem Bericht voraus. Um Druck auf die Klimakonferenz von Paris in wenigen Wochen zu machen? Die Autoren betonen, dass auf die kurze Frist von 15 Jahren die Klimapolitik fast nichts mehr ausrichten kann. Damit bleibt nur: die Betroffenen weniger verwundbar machen und ihnen helfen, sich anzupassen – an Hitze, Dürren, Überflutungen.

Ein genauerer Blick auf die Überblicksstudie zeigt, dass die plakative Zahl der „100 Millionen“ nur ein plausibles Mittel aus vielen Szenarien ist. Auch bleibt der weitaus größte Treiber für das Auf und Ab bei der Armut das Wirtschaftswachstum. Der Klimawandel könnte beide Effekte aber „entkoppeln“: Die Wirtschaft wächst, doch die Ärmsten bleiben zurück. Denn sie sind es, die weitaus am stärksten unter den Folgen leiden. Wer in den Slums afrikanischer Städte wohnt, gibt über 60 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel aus, die sich durch Dürren stark verteuern. Wer als Bauer von seiner Ernte lebt, leidet unter Ausfällen. Sicher: Manche Landwirte in weniger betroffenen Gebieten, die ihre Produkte verkaufen, könnten von Preisanstiegen profitieren. Aber dieser Effekt wird wohl der schwächere sein.

Dazu kommt: Die Ärmsten haben keine finanziellen Ersparnisse. Wenn ihre Kühe sterben oder eine Überflutung ihre Hütte davonspült, verlieren sie alles, was sie haben. Soziale Sicherungsnetze gibt es in den Entwicklungsländern nicht. Wird es heißer, fördert das die Ausbreitung von Malaria und anderen Krankheitserregern. Wird das Wasser knapp, waschen sich die Ärmsten weniger oder greifen auf verschmutze Quellen zurück. Das fördert Durchfall, was nur in der Ersten Welt harmlos klingt: Bis 2030 dürften allein an dieser Folge des Klimawandels 48.000 Kinder zusätzlich sterben.

Aus Schocks wird ein Dauerzustand

Dass die extreme Armut in den letzten zwei Jahrzehnten recht kontinuierlich auf dem Rückzug war, täuscht eine ruhige Entwicklung nur vor. Die Weltbank zeigt das am Beispiel des indischen Bundesstaates Andrah Pradesh. Dort reduzierte sich die extreme Armut im vergangenen Vierteljahrhundert im Schnitt um zwei Prozent jährlich. Dahinter aber stand eine brutale Dynamik: 14 Prozent schafften im Schnitt in einem Jahr den Aufstieg, zwölf Prozent fielen unter die magische Einkommensgrenze – was „netto“ auf die zwei Prozent Verbesserung hinausläuft. Steigen die Preise von Lebensmitteln, führt das zu starken Rückschlägen: Schon 2008 landeten dadurch weltweit 100 Millionen wieder in der Armut. Doch damals folgte eine rasche Erholung. Wenn sich hingegen durch die Erderwärmung die Naturkatastrophen häufen, ist das ein dauerhaftes Phänomen – das auf Dauer die Zahl der bitter Armen treibt.

Was ist zu tun? Die Weltbank empfiehlt Maßnahmen, die Auswirkungen abmildern. Dazu gehört, hitzeresistente Getreidesorten und genügsame Rassen beim Nutzvieh zu entwickeln und zu verbreiten. Ein großes Thema sind auch sparsame Bewässerungsmethoden. Wo hingegen Überschwemmungen drohen, gilt es, Deiche aufzuschütten. Neue Häuser dürften nur mehr in sicheren Gebieten errichtet werden. Eine verbesserte Kanalisation könnte der Ausbreitung von Krankheiten vorbeugen. Neue, wettersichere Straßen verringern die Abhängigkeit von der lokalen Ernte. Schon eher utopisch erscheint die Forderung nach Sozialversicherungen. Doch auch für die anderen Investitionen gilt: Aus eigener Kraft können das die Entwicklungsländer nicht finanzieren. Womit am Ende doch Paris ins Spiel kommt: Wenn dort eine CO2-Abgabe beschlossen wird, soll ein Teil der Erträge in die ärmsten Länder fließen – aus den reichen Industriestaaten, die den Klimawandel zu verantworten haben.

AUF EINEN BLICK

Die Weltbank warnt: Ohne gezielte Maßnahmen drohe die Zahl der extrem Armen (mit weniger als 1,90 Dollar Einkommen pro Tag) durch den Klimawandel um 100 Millionen Menschen anzusteigen. Das ist ein plausibles Mittel aus einer Reihe von Szenarien. Es konterkariert das UN-Ziel, die bittere Armut bis dahin zu besiegen. Die Erderwärmung lässt sich in dieser kurzen Frist nicht bremsen. Damit bleibt nur, ihre Auswirkungen abzumildern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2015)

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